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Das Salz der Mörder

Das Salz der Mörder

Titel: Das Salz der Mörder
Autoren: Gerhard Otto Stock
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Injektionsnadel, die in meinem rechten Handrücken steckte, klopfte
mir obendrein besänftigend auf die Schulter dabei, stand auf und wollte gerade
den Raum verlassen, als ich ihr mit hoch erhobenem Kopf nach rief: „Wo ist
meine Tochter? Warum hat man mich an dieses verfluchte Bett geschnallt und
weshalb werde ich von Ihnen wie ein Tollwütiger behandelt? Was ist mit mir
passiert? Was haben Sie mit meiner Tochter gemacht?“
    „Wer
ist denn hier tollwütig, Herr Wegner?“ erwiderte sie äußerst milde. „Ich sagte
Ihnen doch, dass ich Sie über alles Weitere informieren werde, wenn ich mit den
Befunden fertig bin.“
    Damit
wandte sie sich von mir ab und ging mit resoluten Schritten auf die Ausgangstür
zu, die sich wie von Geisterhand öffnete. Sie verschwand dahinter, und die Tür
fiel automatisch zurück in ihr unsichtbares Schloss. Man hatte mir einen
Katheter gelegt. Erst jetzt nahm ich den mit gelblichem Urin gefüllten
Plastikbeutel wahr, am Bettgestänge hängend. Ein dünner Schlauch führte unter
die Zudecke geradewegs zwischen meine Beine. Trotzdem verspürte ich ständig das
Bedürfnis pinkeln zu müssen.
    Merkwürdigerweise
war die Nachttischlampe inzwischen von selbst erloschen. Unerwartet begann
sanfte Instrumentalmusik von irgend woher auf mich einzusäuseln.
    Den
ganzen Tag grübelte ich vor mich hin. Meine Gedanken nervten kreuz und quer
durch die verfluchten Stunden, die ich bereits in diesem Dorf namens
Wusterwalde verbracht hatte. Oder befand ich mich vielleicht an einem völlig
anderen Ort? Ich wusste nicht ein noch aus.
    Es
war dunkel und meine sich automatisch an- und ausschaltende Wunderlampe brannte
längst, als die Tür wieder aufging und Frau Dr. Johannsen nochmals zu einer
Visite an meinem Bett erschien.
    „Also,
Herr Wegner, die Untersuchungsergebnisse sind ‚o.B.‘, das heißt: ohne Befund.
Sie strotzen förmlich vor Gesundheit, und um es Ihnen deutlich und ohne
Umschweife zu sagen: Ihre hervorragende Physis und beneidenswerte Fertilität
waren ausschlaggebend, dass Sie auserwählt wurden, für uns Nachwuchs zu zeugen.
Wir geben Ihnen natürlich etwas Zeit, sich auf diese erfreuliche Tatsache
einstellen zu können.“
    Ich
begriff nicht, was diese Frau zu mir redete. Währenddessen sie den leeren
Infusionsbeutel von der Aufhängung des Metallständers entfernte und durch einen
vollen ersetzte, fuhr sie mit ihren unglaublichen Erläuterungen fort. „Morgen
Früh wird Sie Frau Doktor Radtke besuchen und mit Ihnen über Ihre Zukunft
sprechen. Frau Doktor Radtke ist Psychologin. Ich selbst kann Ihnen keine
weiteren Auskünfte mehr geben. Sollten Sie sich allerdings in irgendeiner Weise
unkooperativ verhalten, ist dieser heutige Tag der erste Tag vom Rest Ihres
Lebens, das Sie dann mit uns verleben werden müssen. Haben Sie das alles
verstanden, Herr Wegner? Ich wünsche ihnen eine gute Nacht.“
    Salz ist ein weißer Festkörper, löslich in heißem
oder kaltem Wasser, leicht löslich in Alkohol, aber unlöslich in konzentrierter Hydrochloridsäure .

9. Die frühen Jahre
     
    Berlin -
Hauptstadt der Deutschen Demokratischen Republik (Stadt des Friedens)
    Sommer
1965. Mein Vater starb als ich sieben war. Die Beatles stürmten mit „Help“
sämtliche internationalen Hitparaden, die Rolling Stones rollten mit
„Satisfaction“ hinterher. Seit Wochen dröhnten diese Titel aus allen westlichen
Radiostationen und durch östliche Lautsprecher.
    Ja,
ich kann mich noch sehr genau an diese Zeit erinnern, weil ich meinen Vater
abgöttisch liebte, obwohl er meine „Negermusik“, wie er sie nannte, so ganz und
gar nicht mochte. Ich mochte ja seinen Johannes Heesters und seine Marika Rökk
auch nicht.
    Doch
plötzlich gab es Vati nicht mehr. Er war von mir gegangen und lebte irgendwo im
Nirgendwo. Meine Einschulung wurde zur traurigsten Trauerfeier. Ab jetzt musste
mich Mutti allein erziehen - Einzelkind, das ich war. Von heute auf morgen
kletterten der Heesters und die Rökk neben meinen vier Pilzköpfen aus Liverpool
auf Platz 1 meiner persönlichen Hitparade. Und so vergingen die Jahre. Als ich
in die dritte Klasse versetzt wurde, sang ich „All You Need Is Love“, wenn ich
auf dem Weg zur Schule war.
    An
den Wochenenden und während der Schulferien fuhr ich immer zu meiner Oma - zu
der Mutter meiner Mutter. Sie lebte in einem kleinen Dorf am Rande Berlins. Da
die Fahrt vom S-Bahnhof Friedrichstraße nach Königs Wusterhausen knapp eine
Stunde dauerte und man für einen flotten
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