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Das rote Licht des Mondes: Historischer Kriminalroman (German Edition)

Das rote Licht des Mondes: Historischer Kriminalroman (German Edition)

Titel: Das rote Licht des Mondes: Historischer Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Silvia Kaffke
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anzusehen, und sie konnte es nachschneidern mit allen Verzierungen und Raffinessen. Doch dann erkannte Clara enttäuscht, das Lina in Begleitung der Lehrerin Luise Brand war. Sie trug nur Kleider aus schlichten schwarzen oder grauen Stoffen und besaß höchstens zwei oder drei davon.
    Clara ging zur Tür, um sie den Damen zu öffnen. Draußen fiel ein feiner Nieselregen, der sich trotz aufgespannter Regenschirme auf die Mäntel und Schutenhüte von Lina und Luise gelegt hatte. Luise eilte die drei Stufen hinauf, um ins Trockene zu kommen, Lina kam langsam, Stufe für Stufe hinterher. «Guten Tag, liebe Frau Dahlmann», begrüßte sie die Inhaberin. Diese nahm ihnen die Schirme ab und wie gewöhnlich auch Linas schlichten Krückstock mit dem Silbergriff, den sie nur außerhalb des Hauses benutzte.
    «Guten Tag. Möchten die Damen ablegen?», Clara hoffte, dass sie sich länger hier aufzuhalten gedachten.
    «Gern. Wir haben uns einiges anzusehen», antwortete Lina.
    Clara rief ihren Gehilfen Wilhelm, der Mäntel und Hüte der Damen ins Hinterzimmer brachte. Die Lehrerin trug wie erwartet ein schlichtes schwarzes Kleid, dessen praktische, aber unmodisch schmale Ärmel schon etwas dünn schienen. Auch Lina war in Schwarz gekleidet, doch Clara entdeckte sofort die kleinen Paspelungen und Raffungen und die teure Spitze, aus der der Kragen und die durchbrochenen Pagodenärmel gearbeitet waren.
    Jetzt, nachdem Lina ihre einfache altmodische Schute abgesetzt hatte, war ihr tiefrotes Haar zu sehen, das sie in mehreren dicken Zöpfen um den Kopf gewunden hatte. Keine neckischen Lockenbüschel lenkten von ihren klaren Gesichtszügen mit der feinen, schmalen Nase und den vollen Lippen ab. Sie war jetzt Mitte dreißig, eine alte Jungfer, was zu ihrer Schönheit gar nicht zu passen schien.
    Zunächst inspizierte Lina die Auslagen. Sie kam oft her, neue Ware fiel ihr sofort ins Auge, und Clara sorgte stets dafür, dass sich Woche für Woche etwas in ihren Auslagen änderte. Gerade hatte Wilhelm die auf der Leipziger Herbstmesse erworbenen Seidenstoffe für Ballkleider aus dem Lager geholt, und die weckten sofort Linas Interesse. Sie prüfte eine schwere, dunkelgrüne Atlasseide, die gut zu ihren roten Haaren passte. Aber was wollte Lina schon mit einem neuen Ballkleid? Tanzen?
    Luise war an der Theke mit den Spitzen stehen gelieben und knetete verlegen ihre Hände. «Kann ich Ihnen helfen, Fräulein Brand?», fragte Clara.
    «Nein, wir wissen schon, was wir brauchen», nahm Lina ihrer Freundin die Antwort ab. Zielsicher ging sie hinüber zu dem Tisch mit den dunklen Baumwollstoffen. «Haben Sie noch etwas von dem Dunkelgrauen aus der Duisburger Fabrik?», fragte sie.
    Clara seufzte unhörbar. Genau diesen Stoff hatte die Lehrerin Luise vor zwei Jahren erstanden und auch in den Jahren davor. Clara ahnte, dass die geschickte Lina plante, die Garderobe ihrer Freundin billig aufzubessern: mal ein verschlissenes Oberteil hier zu ersetzen, mal dort einen Rock. Das tat sie auch häufig bei der Familie ihres geizigen Bruders Georg.
    «Er wird nicht mehr hergestellt», sagte sie, in der Hoffnung, dass Lina sich damit zufriedengeben würde. «Ich habe einen ganz ähnlichen hier …» Sie kam zu dem Tisch herüber und deutete auf einen Ballen von einer guten, dickeren Qualität. «Wie wäre es denn damit?»
    Lina befingerte den Stoff und nickte kurz. «Das ist sehr gute Ware. Aber der ist doch sicher viel teurer als der alte?»
    Es schien sie nicht zu kümmern, dass Luise rot anlief, und sie fuhr fort: «Sagten Sie nicht letztes Jahr, Sie hätten sechs Ballen von dem Dunkelgrauen in Duisburg gekauft, weil er so gut sei?» Sie kam zu Clara um den Tisch herum und sah sie prüfend an. «Da waren im Frühjahr doch noch drei Ballen … Sie haben also alles verkauft?»
    Clara wand sich ein wenig. «Er ging sehr gut.»
    «Frau Dahlmann! Ganze drei Ballen über den Sommer, wo die meisten Damen helle Stoffe tragen?»
    Clara gab auf. «Wir haben vielleicht noch einen halben Ballen im Lager. Ich schicke Wilhelm nachsehen.»
    Kurze Zeit später schleppte Wilhelm einen Ballen dunkelgrauer Baumwolle herein und warf ihn auf den Tisch. Lina befingerte ihn. «Ja, das ist der richtige. Ein Groschen die Elle?»
    «Zwölf Pfennige», verbesserte Clara. «Vieles ist teurer geworden …»
    «Aber Frau Dahlmann, das ist doch nur noch ein Rest.» Lina ging um den Tisch herum und strich prüfend über einen anderen dunkelgrauen Stoff. «Nun, dieser hier ist doch
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