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Das Rätsel der Fatima

Das Rätsel der Fatima

Titel: Das Rätsel der Fatima
Autoren: Franziska Wulf
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Sekireh, diese unbeugsame, starke Frau, die ihre Freundin geworden war; Saddin, der Nomade, den sie gehasst, geliebt und dem sie schließlich das Leben gerettet hatte; und natürlich Ali al-Hussein, den Vater ihres Kindes.
    Beatrice vermochte sich nicht zu erklären, wie sie auch nur den Bruchteil einer Sekunde daran hatte denken können, Markus die ganze Wahrheit zu erzählen. Ausgerechnet Markus! Wie sollte ein fantasieloser, rationaler Mann wie er glauben, was sie zu erzählen hatte? Sie selbst hatte ja Schwierigkeiten, die Wahrheit zu akzeptieren. Immer noch fiel es ihr schwer zu begreifen, dass das alles wirklich passiert war. War sie verrückt? Vielleicht. Oder war es etwa normal, das Bewusstsein zu verlieren und dann wieder aufzuwachen – an einem anderen Ort, in einer anderen Zeit. Seit jener Nacht, in der eine alte arabische Patientin ihr einen Stein geschenkt hatte, einen Saphir, der »Stein der Fatima« genannt wurde, wachte sie immer wieder morgens auf und dachte, dass alles doch nur ein Traum gewesen war. Dass sie niemals von den geheimnisvollen Kräften dieses Steins in das arabische Mittelalter entführt worden war und dort im Harem des Emirs von Buchara gelebt hatte. Dass sie niemals Ali al-Hussein ibn Abdallah ibn Sina kennen gelernt hatte, jenen berühmten arabischen Arzt, der in den folgenden Jahrhunderten nur noch Avicenna genannt wurde. Aber da war das Kind, das sie erwartete.
    Ein Kind, dessen Existenz sich nicht erklären ließ, es sei denn, Ali wäre der Vater. Ali al-Hussein ibn Abdallah ibn Sina, ein Mann, der bereits vor etwa tausend Jahren gestorben war! Allein der Gedanke daran konnte einen schon in den Wahnsinn treiben.
    Erneut zog sich die Bauchdecke schmerzhaft zusammen. Ali al-Hussein! Wie sehr vermisste sie ihn, diesen intelligenten, humorvollen, aber auch ein wenig arroganten Mann, mit dem sie nächtelang diskutiert, gestritten und gelacht hatte. Manchmal träumte sie von ihm. Sie träumte, dass er neben ihr lag, dass sie nur die Hand auszustrecken brauchte, um ihn zu berühren und ihm über sein dichtes schwarzes Haar streicheln zu können. Genau wie damals in Buchara. Manchmal glaubte sie sogar seinen Duft wahrzunehmen, diesen intensiven, eigentümlichen Duft von Weihrauch, Ysop, Myrrhe, Melisse und Orangenblüten, eine Mischung jener Kräuter, die er am häufigsten zur Behandlung seiner Patienten einsetzte.
    Dieser Geruch hing an ihm. Er klebte förmlich in seiner Kleidung, seinen Haaren und auf seiner Haut wie der Geruch von Desinfektionsmitteln an einem Chirurgen.
    Vielleicht hatte sie sich deshalb so zu ihm hingezogen gefühlt. Sie waren verwandte Seelen, trotz der Zeitalter, die sie trennten. Warum hatte sie nicht einfach bei ihm bleiben können?
    Beatrice seufzte und streckte sich in der Wanne. Wenn der Stein der Fatima wirklich das war, was man ihr erzählt hatte, hätte er vermutlich alle ihre Fragen beantworten und sie in seine Geheimnisse einweihen können. Aber der Saphir lag in einem Frotteehandtuch eingewickelt in der hintersten Ecke im oberen Regal ihres Kleiderschranks. Seit jener Nacht, in der sie Frau Alizadeh nach ihrer Rückkehr ins 21. Jahrhundert im Krankenhaus aufgesucht hatte, hatte sie ihn nicht mehr angerührt.
    Manchmal fühlte sie das Verlangen, ihn wieder anzusehen, diesen Stein wieder in die Hand zu nehmen, doch sie fürchtete sich zu sehr. Sie befürchtete, dass der Stein sie nicht ihrem Wunsch gemäß zu Ali zurückbringen, sondern sie stattdessen erneut in eine fremde Umgebung, in ein anderes Zeitalter entführen würde.
    Beatrice streichelte zärtlich durch die Bauchdecke hindurch das ungeborene Kind. Manchmal ging es ihr durch den Kopf, was sie ihrem Kind erzählen sollte, wenn es eines Tages alt genug war, um Fragen nach seinem Vater zu stellen.
    Die Wahrheit, dachte Beatrice. Dir werde ich die Wahrheit sagen.
    In diesem Augenblick spannte sich die Bauchdecke so stark an, dass Beatrice sich in das Handgelenk biss, um nicht vor Schmerz zu schreien. Was war nur mit ihr los? Offensichtlich hatte das Bad nicht die entspannende Wirkung gehabt, die sie sich erhofft hatte. Vielleicht sollte sie lieber aus der Wanne steigen und in ihrer Wohnung auf und ab gehen?
    Doch auch das half nicht. Beatrice befiel Angst. Die Schmerzen wurden immer stärker und kamen in immer kürzeren Abständen. Und je stärker sie wurden, umso mehr fürchtete sie sich, und je mehr Angst sie hatte, umso öfter kam der Schmerz. Ein Teufelskreis, aus dem es kein Entrinnen gab.
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