Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Mysterium der Zeit

Titel: Das Mysterium der Zeit
Autoren: Francesco Rita & Sorti Monaldi , Sorti
Vom Netzwerk:
stehend, wurdest du in die Freuden der Liebe eingeweiht, der wahren Liebe. Dies geschah in Venedig und ausgerechnet dank der
Finta Pazza
. Noch immer konnte ich auf deinem Gesicht die Erinnerungen an diesen Traum der Leidenschaft und des Erfolgs ablesen, an deinen großen Auftritt in Venedig vor fünf Jahren. Während der Probenzeit hatte die sechs Jahre ältere Barbara Strozzi, eine sangesfreudige Musikerin und uneheliches Kind des Dichters Giulio Strozzi, des Librettisten der
Finta Pazza
, ein Auge auf dich geworfen. Die Strozzi war soeben von ihrem reichen adeligen Liebhaber schwanger geworden, jenem Giovanni Vidman, dem ihr Vater das Libretto der
Finta Pazza
gewidmet hatte. Nichtsdestoweniger hatte sie sich in dich verliebt, und zwar so sehr, dass in Venedig sogar ein Spottlied auf euch beide in Umlauf war:

    |31| Etwas erklären und etwas sein, sind verschiedene Dinge,
    für mich ist sie gleichwohl die keuscheste aller Frauen,
    denn obwohl sie
    als sinnliches Weib und in Freiheit erzogen
    ihre Zeit mit einer Liebschaft verbringen könnte,
    gilt ihre ganze Zuneigung
    einem Kastraten.

    Barbaras Liebhaber kümmerte sich nicht um euer Verhältnis, wie ihm auch ihre Schwangerschaft gleichgültig war. Es amüsierte ihn, dass eine seiner Gespielinnen sich mit einem fünfzehnjährigen Kastraten vergnügte. Du warst dagegen in einer ganz anderen Lage: Nur durch ein Wunder kam deine Liebschaft mit der Strozzi deinem eifersüchtigen Padrone Mattias de’ Medici nicht zu Ohren, obwohl er eigens nach Venedig gereist war, um deinem Auftritt im Teatro Novissimo am ersten Abend beizuwohnen. Es war zum Bersten gefüllt, denn die Accademia degli Incogniti, der fast alle wichtigen Persönlichkeiten in Venedig angehörten, hatte wie besessen für das Ereignis geworben.
    Vorbei war es nun mit jenen Tagen, die der Schraubstock der Zeit zu einem wirren Knäuel aus Erinnerungen zusammengepresst hatte, vorbei war es mit Barbara, vorbei mit allem. Hier, auf der französischen Galeere, blieb dir nur die schüchterne, ehrerbietige Gesellschaft der blutjungen Rosina Martini, einer Sopranistin, die Kardinal Mazarin engagiert hatte. Andere Frauen gab es auf dem Schiff nicht. Vermutlich hätte Barbello die Nächte gern an deiner Seite verbracht, wenn du deinen Abscheu hättest überwinden können.
    Frauen mögen Kastraten, das ist bekannt. Doch ein Kastrat, der Frauen mag, ist eine gefährliche Angelegenheit, wenn sie seinen Herren zu Ohren kommt. Und sie kann dich und mich ruinieren. Darum zog ich mit väterlicher Entschiedenheit Rosinas Hand aus deiner und führte dich unter Barbellos triumphierenden Blicken zum Heck, wo ich dir eine Predigt zu halten gedachte. In aller Kürze und Gelassenheit natürlich, denn es braucht keinen großen Geist, um zu begreifen, was sich hinter dem Eifer verbirgt, mit dem du, mein Atto, vom Großherzog und seinen Brüdern bezahlt, beherbergt, ausgeschmückt, empfohlen und erbittert verteidigt wirst. Oder muss ich dir wirklich wiederholen, was alle in Florenz wissen?

|32| NOTIZ
    Darin beleuchtet wird, wie das Haus der Medici die Sodomie sowohl zum Vergnügen als auch aus Dünkel und um der Staatsraison willen praktiziert hat: Ersteres durch Taten, das zweite in ihren Überzeugungen, Letzteres durch Worte.
    Unser geliebter Großherzog Ferdinando de’ Medici, welcher früh den Vater verlor und allein mit seiner Mutter lebte, der verbitterten, eiskalten Maria Magdalena von Österreich, ward in seiner Jugend plötzlich von einem so starken Fieber heimgesucht, dass er tagelang im Delirium lag. Nach seinem Erwachen überfiel ihn eine widernatürliche Zuneigung zu jedem schönen Pagen in seiner Umgebung. Von demselben mysteriösen Fieber mit nämlichen unglückseligen sodomitischen Auswirkungen waren offenbar sämtliche Mitglieder des Hauses Medici seit der Zeit von Lorenzo dem Prächtigen und seinem Bruder Giuliano befallen worden. Auch diese beiden hatten jene schändliche Leidenschaft für ihre Freunde empfunden, zu denen auch der treffliche Maler Sandro Botticelli und der sanftmütige Dichter Agnolo Poliziano gehörten. Vergebens erklärten die wenigen tugendhaften Geistlichen der Familie, welche nicht selbst an diesem elenden Laster teilnahmen, dass es sich um eine Besessenheit vom Teufel handle, und boten Hilfe durch Gebete an. Doch ihr Angebot wurde belächelt und verschmäht. Man erzählt, dass einer dieser heiligen Männer die Gelegenheit einer Messe im Hause Medici nutzte, um ohne Ankündigung einige
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher