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Das Morden ist des Mörders Lust. Geschichten.

Titel: Das Morden ist des Mörders Lust. Geschichten.
Autoren: Henry Slesar
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    »Du glaubst, ich mache Scherze?« Bolgar strich mit sei­nen Handflächen das lange schwarze Haar hinter seine Ohren. Es gab nur wenige Kämme auf der Welt.
    »Ich meine, du bist verrückt«, sagte Pulley von seinem Bett her. Er trug ein zerschlissenes T-Shirt. Der Orden mit seinem schreienden, grünlich verkrusteten Adler sah, so an seine Brust geheftet, lächerlich aus. Aber Pulley würde sich niemals von ihm trennen.
    »Wir werden sehen«, sagte Bolgar finster. »Kann ich mal deinen Rasierer benutzen?«
    Pulley zuckte mit den Achseln. »Einmal mehr, was macht das schon noch aus. Ich würde tausend Gutscheine für ein ordentliches Messer und einen Streichriemen geben.«
    »Da kannste lange drauf warten«, sagte Bolgar. Er zog sich seine metallisch-graue Uniformjacke aus und warf sie aufs Bett. Dann ging er zu dem braun gefleckten Ausguß und drehte den einzig funktionierenden Wasserhahn auf.
    Das herauströpfelnde eiskalte Wasser hatte eine kupferne Färbung.
    »Ionenpistole«, sagte er knapp.
    Pulley zog das Ding aus dem Hüfthalter und warf es sei­nem Stubengefährten zu.
    Bolgar richtete die Pistole auf das Wasser, bis es klar war.
    »Rasierer«, sagte er.
    Pulley warf ihm auch den zu. Das Metall war so wider­lich grün wie die ewige Medaille des Mannes. Bolgar be­sah ihn sich angeekelt, wobei er mit dem Daumen über die Klinge fuhr, ohne sich die Haut zu ritzen.
    »Könnte man nicht mal Schweineschmalz mit schnei­den«, sagte er mit verächtlichem Schnauben. Dennoch begann er mit der schmerzhaften Prozedur des Rasierens.
    Pulley sah ihm fasziniert zu. »Dich hat es aber schlimm erwischt«, sagte er verwundert. »Dieses Risiko einzugehen bloß wegen einem lausigen Kuß. Was ist denn an dem Weibstück so Aufregendes dran?«
    »Ich kann’s nicht erklären. Sie sieht verdammt gut aus – aber das ist es nicht allein. Ich habe sie beobachtet, wie sie rumstolziert und dabei ihren kleinen …« Er schnitt sich und fluchte.
    »Ich bin mal stehengeblieben, um mit ihr zu reden. Es war da was in ihrem Gesicht … dasselbe, was du in allen ihren Gesichtern sehen kannst …«
    »Jaha«, sagte Pulley bitter. »Ich kenne diesen Blick.«
    »Wirklich?« Der andere drehte sich um. »Was siehst du darin? Haß?«
    »Ja, was denn sonst?«
    »Nein.« Bolgar schüttelte den Kopf und betrachtete sich verstimmt in der Glasscherbe. »Es ist nicht mehr Haß, Pulley. Der Haß ist schon vor langer Zeit in ihnen abgestorben, direkt nach dem Krieg, direkt nach der Verseuchung …«
    »Sie hassen uns«, stellte Pulley kategorisch fest.
    »Das glaube ich nicht. Ich glaube, daß das jetzt etwas anderes ist. Etwas Schlimmeres.« Er begann wieder, sich zu rasieren. »Verachtung«, sagte er.
    Pulley ballte seine rechte Hand zur Faust und schlug sich damit aufs Knie. »Wir hätten sie alle totmachen sollen. Wir hätten sie auslöschen sollen!«
    »Ich bat sie um ein Streichholz«, sagte Bolgar verträumt. »Bloß ein lumpiges Streichholz. Sie starrte mich an, als wär ich irgend so eine Art Mikrobe. Dann wickelte sie sich ihr verdammtes Cape ums Gesicht, als wollte sie ver­hindern, daß mein Atem sie streift.« Seine wachsende Wut ließ seine Hand zittern; er schnitt sich ein zweites Mal.
    »Du willst sie also küssen, was?« spöttelte Pulley. »Warum erwürgst du das Mädel nicht? Warum schlägst du sie nicht zusammen? Oder fehlt dir dazu der Mumm?«
    Bolgar richtete seinen Zorn auf ihn. »Nehmen Sie sich in acht, Sergeant!«
    »Jetzt muß der Dienstgrad ran, was?« Das war der rein­ste Hohn.
    »Halt’s Maul!«
    Pulley schwang seine in Stiefel steckenden Füße aufs Bett.
    »Okay, Kumpel.« Er lachte vor sich hin. »Mach, was du willst. Du kriegst eh die gleichen Schwierigkeiten ... ob du sie nun küßt oder killst …«
    »Ich werde sie küssen«, sagte Bolgar einfach, sich das Gesicht mit einem schmutzigen Tuch abtupfend. »Ich werde ihr beim Kasino auflauern. Sie kommt jeden Abend gegen zehn aus der Unterkunft in der Barton Street. Sie geht dann quer über den Platz zur Pitcher Street. Es ist ganz schön einsam da, um die Zeit. Ich werde vorspringen und ...«
    »Operation Kuß.« Pulley lachte und spielte mit dem Or­den auf seiner Brust. »Der letzte Sieg des Krieges …«
    Bolgar zog sich seine Uniformjacke an. Das ungebleich­te Tuch war schäbig und abgetragen, aber die Knöpfe wa­ren noch immer strahlend blank. Die Insignien der 505. Armee – eine eiserne Hand, die ein paar gezackte Blitze umklammerte – funkelten
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