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Das Meer der Seelen Bd. 1 - Nur ein Leben

Das Meer der Seelen Bd. 1 - Nur ein Leben

Titel: Das Meer der Seelen Bd. 1 - Nur ein Leben
Autoren: Jodi Meadows
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sicher, auf wen ich wütend sein sollte. Auf Li, die mir einen schlechten Kompass gegeben hatte, oder auf mich selbst, weil ich ihr eine kleine Geste der Freundlichkeit überhaupt zugetraut hatte.
    Ich war einen ganzen Tag umsonst gelaufen und würde einen weiteren Tag für den Rückweg benötigen, aber zumindest hatte ich es bemerkt, bevor ich die Grenzen des Reiches überschritten hatte. Das Letzte, was ich brauchte, war eine Begegnung mit einem Kentauren – durchaus möglich so weit im Süden – oder einem der Sylphen, die die Grenzen des Reiches unsicher machten. Für gewöhnlich kamen sie dank der Wärmefallen, die überall im Wald aufgestellt waren, nicht herüber, aber als Kind hatte ich oft von ihnen geträumt und Zweifel gehegt, ob die Schatten und die Wärme wirklich nur Alpträume waren.
    Wie auch immer. Li würde nie von ihrem Sieg erfahren, wenn ich es ihr nicht erzählte.
    Dunkelheit senkte sich über den Wald, als ich von der Pappel kletterte, nur dünnes Mondlicht drang durch die Wolken. Ich durchwühlte den Rucksack, bis meine Hand sich um die Taschenlampe schloss, drehte ein-, zweimal kurz am Griff und schlug in ihrem weißen Licht ein Lager auf. Gleich neben der Straße plätscherte ein Bach, und dicke Nadelbäume schützten eine Lichtung, die kaum groß genug für meinen Schlafsack war.
    Ich schob etwas Schnee beiseite und legte den Schlafsack
auf den Boden. Er ging mir bis über den Kopf und ließ genug Bewegungsfreiheit. Ich hatte kein Zelt und brauchte auch keins, es würde zu lange dauern, bis es darin warm geworden war, da Li mir kein Heizgerät mitgegeben hatte. Nicht, dass ich so viel Anstand erwartet hätte. Trotzdem wurde mir im Schlafsack bald so warm, als wäre ich im Purpurrosenhaus.
    Vielleicht konnte ich für immer in der Wildnis des Reiches leben, wenn ich erst einmal wusste, woher ich gekommen war und ob ich wiedergeboren werden würde. Ich brauchte niemanden sonst.
    Gedämpft summte ich die Melodie meiner Lieblingssonate, bis meine Augen schwer wurden.
    »Sch.«
    Ich war mit einem Schlag hellwach und erstarrte. »Hscht.«
    Von der anderen Seite des Baches kam ein tiefes Stöhnen. Es waren jedoch keine Schritte zu hören, unter denen Zweige knackten, kein Rascheln in den Ästen. Alles war still, bis auf das Rauschen des Wassers. Und das Flüstern.
    Das Gemurmel dauerte an. Jemand anders hatte anscheinend beschlossen, hier sein Lager aufzuschlagen, und dabei irgendwie meinen Schlafsack übersehen.
    Schön. Dann würde ich eben gehen. So kurz nach Li war ich für andere Menschen noch nicht bereit. Sie hatte immer gesagt, die Leute würden mich nicht mögen, weil ich war, was ich war, und ich wollte niemandem erklären, warum ich mich am Rande des Reiches befand. Das Gebiet der Menschen erstreckte sich zwar weithin, aber die meisten hatten sich in Heart vergraben, und jetzt musste sich ausgerechnet hier jemand niederlassen.
    Die Geräusche der Eindringlinge veränderten sich nicht, als ich aus dem Schlafsack hinausrobbte, meinen Mantel anzog und all meine Habseligkeiten in den Rucksack stopfte. Die Jahre,
in denen ich es vermieden hatte, Lis Aufmerksamkeit zu erregen, waren also doch zu etwas nütze gewesen.
    Jemand stöhnte. Jetzt wollte ich wirklich hier weg.
    Im Schein des Mondlichts kroch ich auf die Straße zu. Es war gerade hell genug, um Bäume und Unterholz zu erkennen. Doch keine Spuren von meinen Besuchern. Ich musste für eine ganze Weile geschlafen haben, denn der Himmel war klar und schwarz, von Sternen wie mit einer feinen Schneedecke überzogen. Äste knarrten im Wind.
    »Sch.« Das Geflüster folgte meinem Rückzug.
    Mit klopfendem Herzen machte ich die Taschenlampe an und schwenkte den Lichtstrahl dorthin, wo das Wasser über die Steine plätscherte. Schnee, Erde und Schatten. Nichts Ungewöhnliches, von körperlosen Stimmen abgesehen.
    Soweit ich wusste, gab es nur ein Wesen, das sich bewegte, ohne die Welt zu berühren. Sylphen.
    Meine Lunge brannte von der eisigen Luft, als ich über knirschenden Schnee die Straße entlangrannte. Aus Stöhnen wurde Kreischen und Gelächter. Die Hitze in meinem Nacken mochte aus dem Schrecken geborene Einbildung sein, doch die Sylphen holten auf. Einen Kratzer ihrer glühenden Berührung würde ich überleben, aber alles, was darüber hinausging, würde mich töten.
    Es gab zwar Möglichkeiten, sie lange genug gefangen zu halten, um sie tief in die Wildnis zu bringen, aber mir fehlten die Mittel dazu. Und es war unmöglich,
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