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Das Mädchen vom Amazonas: Meine Kindheit bei den Aparai-Wajana-Indianern

Das Mädchen vom Amazonas: Meine Kindheit bei den Aparai-Wajana-Indianern

Titel: Das Mädchen vom Amazonas: Meine Kindheit bei den Aparai-Wajana-Indianern
Autoren: Catherina Rust
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erstaunt, wie routiniert und mühelos alles vonstatten ging. Die Impfungen und Untersuchungen überstand ich ohne Probleme, sogar die viel gescholtene Bürokratie spielte mit. Alle erforderlichen Stempel waren im Pass, nur ein Schnupfen hätte meine Pläne jetzt noch ins Wanken bringen können. Sechs Wochen lang musste ich erkältungsfrei bleiben, um das Volk meiner Kindheit nicht durch eingeschleppte Viren zu gefährden. Doch anders als jeden Winter zuvor und auch danach blieb ich kerngesund.
    Als ich endlich in Brasilien eintraf, herrschte in Europa bereits tiefster Winter. Die feuchtheiße Tropenhitze, die mir schon auf dem Flughafen wie ein nasses Handtuch entgegenschlug, war für mich wie ein lang ersehntes Geschenk. Es fühlte sich gut an, nicht mehr frieren zu müssen und dicke Pullis gegen luftige T-Shirts tauschen zu können. Auch die chronische Müdigkeit, die mich sonst nach längeren Flügen erfasste, war auf einmal wie weggeblasen.
    Meine Reise führte mich über Rio de Janeiro in die Äquatorstadt Macapá im Bundesstaat Amapá, der durch seine geografische Lage im Nordosten Brasiliens zu einer Art Drehkreuz für Amazonasreisende geworden ist. Im Norden grenzt die Region an Französisch-Guayana und Surinam, an ihren Westausläufern und im Süden an den brasilianischen Bundesstaat Pará, in dem mein eigentliches Ziel lag.
    Nach rund vier Stunden Wartezeit, einer Verspätung, die in Brasilien kaum der Rede wert ist, saß ich endlich in dem einmotorigen Lufttaxi. Gespannt wie ein Flitzebogen, aber auch ein wenig nervös. Man brauchte schon ein bisschen Mut, wenn man sich in solch eine Maschine begab. Und großes Vertrauen in die Fähigkeiten desjenigen, der das Flugzeug über den Regenwald steuerte. Da mir einige Flüge aus Kindertagen noch in bester Erinnerung waren, bohrte ich die Fingernägel in den kunstledernen Bezug der Sitze. Einer der Piloten hatte sich bei einem unserer Flüge unentwegt bekreuzigt, während er nebenbei immer wieder einen kräftigen Schluck aus seinem Flachmann nahm. Schon als er uns begrüßte, umwehte ihn eine Fahne aus Eau de Cologne, vermischt mit dem bitteren Geruch von Selbstgebranntem. Ein anderer Pilot, der meinen Vater einmal geflogen hatte, war sogar am Steuer eingeschlafen.
    Doch all meine Bedenken waren wie weggefegt, als der Pilot der kleinen Maschine einen Bilderbuch-Start hinlegte. Je höher wir stiegen, umso grandioser wurde die Aussicht. Unter uns erstreckte sich der majestätische Regenwald, der Schatten unseres Flugzeugs zeichnete sich auf dem Waldteppich wie der Umriss eines großen Vogels ab. Ein Meer aus Baumkronen, deren verschiedene Grünschattierungen beinahe nahtlos ineinander übergingen. Die Völker des Regenwaldes kennen Hunderte verschiedener Bezeichnungen für das eine Wort »grün«. Endlich entdeckte ich das bräunliche Wasser des Amazonas. Sanft mäanderte er durch die Landschaft, wie eine von den Göttern auf den Boden geworfene Schlange. Ein gewaltiger Strom, der wasserreichste Fluss der Erde, der Fluss aller Flüsse mit seinen unzähligen Nebenarmen, die das gesamte Amazonasgebiet, die grüne Lunge der Welt, wie ein gigantisches Kapillarsystem durchziehen.
    Während ich meine Stirn gegen das zerkratzte Glas der wackelnden Fensterscheibe presste, umfing mich ein vertrautes Gefühl, das sich auch im Nachhinein nur schwer in Worte fassen lässt. Es war, als ob der Anblick des Regenwalds einen Schalter in meinem Kopf umlegte. Es fühlte sich richtig an, wieder hier zu sein. Das warme Tropenlicht der Gegenwart war genauso wie in meiner kindlichen Erinnerung. Und die Baumkronen des Regenwalds glichen dem Bild, das sich seit dem Tag unserer Abreise in mein Gedächtnis eingebrannt hatte. Es war beinahe so, als ob ich geradewegs in die Vergangenheit hineinflog.
    Unter dem Bauch unseres Flugzeugs tauchte unvermittelt eine Gruppe buntgefiederter Aras auf, die unbeeindruckt vom Brummen des Motors ihre Kreise zogen. Nicht viel später sah ich eine erste dunkle Rauchwolke über den Bäumen. Groß, bedrohlich, mitten im Urwald. Während wir Kilometer um Kilometer unserem eigentlichen Ziel näher kamen, entdeckte ich immer häufiger Feuer. Kleinere und größere und solche, deren Ausmaße sich nur schwer schätzen ließen, weil der Rauch die Sicht behinderte. Rund ein Dutzend Brandherde zählte ich insgesamt, die meisten davon wohl illegal gelegt, um dem Regenwald Stück für Stück mehr Land abzutrotzen.
    Der Amazonas umfasst etwa 4 , 1 Millionen
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