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Das letzte Opfer (German Edition)

Das letzte Opfer (German Edition)

Titel: Das letzte Opfer (German Edition)
Autoren: Petra Hammesfahr
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Köln hatte er sein Stammlokal, eine Diskothek an der Zülpicher Straße, wo er lockere Freundschaften pflegte. Christa befürchtete schon, er käme nicht mit. Karlheinz hielt ihm einen Vortrag, mit seinen sechsundzwanzig Jahren sei er nun wirklich alt genug, um auf eigenen Füßen zu stehen und endlich an einen eigenen Hausstand zu denken, sonst wäre er irgendwann ein alter, grämelnder Junggeselle, der mit Fossilien ins Bett ging und sich nachts an verwitterten Knochen ergötzte.
    Für Fossilien hatte Norbert sich schon als Kind begeistert, auf Flohmärkten vom Taschengeld gekauft, was er sah und bezahlen konnte. Es machte ihm allerdings mehr Spaß, wenn er sie selbst fand. Schon mit einundzwanzig Jahren hatte er sich den ersten gebrauchten Wohnwagen gekauft, später ein modernes Wohnmobil, in dem er jedes zweite Jahr im September aufbrach, um nach Schätzen zu suchen.
    Norbert konnte immer nur im September Urlaub nehmen. Er arbeitete in einer Kfz-Werkstatt und war dort während der Hauptreisezeit unentbehrlich. Das war er zu Hause eigentlich immer. Christa meckerte häufig, wenn er sein Wohnmobil mit Konserven und einem Kasten Bier belud. Ihr wäre es lieber gewesen, er hätte seinen Urlaub zweckmäßiger genutzt. In einem Jahr tat er das auch, renovierte und werkelte, erledigte alles, was erledigt werden musste. Im nächsten Jahr wollte er dann etwas Zeit für sich.
    Meist fuhr er nach Ottenhöfen in den Schwarzwald. Dort gab es einen Steinbruch, in dem er immer fündig wurde. Im Laufe der Zeit trug er eine beachtliche Sammlung zusammen. Trilobiten aus dem Kambrium, Ammoniten aus dem Jura, damit kannte Norbert sich aus. Manchmal buddelte er auch Tonscherben aus, die vielleicht aus der Römerzeit stammten, oder noch ältere Sachen. Einmal brachte er einen Keil mit aus geschliffenem Stein, zweifellos von Hand bearbeitet. Er war sehr stolz darauf und meinte, es sei ein Fund aus der Steinzeit.
    Und im September 1988, wenige Tage bevor Jasmin auf die Welt geholt wurde, hatte er den Knochen entdeckt, über den Karlheinz sich mokierte, der musste aber aus jüngerer Zeit sein. Auch Christa regte sich auf, als Norbert den Knochen anschleppte. Sie meinte, ihre Wohnung sei kein Friedhof, war noch sehr verstimmt darüber, dass er nicht einmal in dem Jahr auf seinen Urlaub verzichtet und sie mit seiner hochschwangeren Schwester alleine gelassen hatte. Aber ein Hobby brauchte er doch.
    Er verwahrte alles in einer Vitrine in seinem Zimmer auf. Da lagen der Knochen und der Keil zwischen Trilobiten und Ammoniten. Und wenn er ihn anschaute, stellte Norbert sich vielleicht vor, es sei ein Knochen von einem ausgestorbenen Tier, aus einer Zeit, in der er lieber gelebt hätte, als Männer noch Jäger gewesen und nicht von Frauen herumkommandiert worden waren.
    Einige bezeichneten Karens Bruder als komisch, eigenbrötlerisch und verschlossen. Manchmal war er das auch, da wusste selbst sie nicht, wie sie über ihn denken oder mit ihm reden sollte. Aber sie liebte ihn abgöttisch. Wenn man ihn brauchte, war er normalerweise da. Christa musste nur einmal sagen, dass der Wasserhahn tropfte oder die Küche gestrichen werden müsste, schon besorgte Norbert eine neue Dichtung oder einen Eimer Farbe. Für sie war er immer entschieden mehr als nur der große Bruder gewesen, ein Vaterersatz, in den ersten Jahren hatte er an ihr sogar Mutterstelle vertreten.
    Bis zu Karens Geburt hatte Norbert bei Christas Mutter gelebt, weil Christa damals noch ganztags in einem Frisörsalon arbeitete und keine Zeit für ihn hatte. Er war immer gerne bei der Oma, hing sehr an ihr, war damals auch so gut in der Schule, dass seine Lehrer empfahlen, ihn aufs Gymnasium zu schicken. Die Oma hatte sich jeden Nachmittag mit ihm hingesetzt, gerechnet, gelesen, geschrieben, sogar englische Vokabeln mit ihm gelernt und ein bisschen Latein. Aber zwei Kinder zu betreuen, noch dazu einen Säugling, das war der Oma zu viel gewesen.
    So hatte Christa begonnen, ihre Kundschaft in der Küche zu bedienen. Und da brauchte sie Norbert selbst, damit er ihr zur Hand ging. Er fütterte, wickelte, badete auch, war nur manchmal etwas ungeschickt dabei mit seinen zehn Jahren. Einmal brach er Karen aus Versehen ein Fingerchen. Und einmal rutschte sie ihm beim Baden aus den Händen, schluckte ein bisschen Wasser. Daran erinnerte sie sich nicht, es war auch nicht weiter tragisch gewesen. Nur ihr Vater vermutete eine böse Absicht dahinter. Wut, um es konkret auszudrücken, weil Norbert nun
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