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Das Herz der Hoelle

Titel: Das Herz der Hoelle
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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unwirkliche Atmosphäre. Ich spürte die Kälte nicht. Ich war selbst so durchgefroren, dass mir der eisige Wind nichts anhaben konnte.
       Ich stieg über das Eisentor und stapfte über den Kiesweg zum Kloster. Ich ergriff keinerlei Vorsichtsmaßnahme. Wieder eine Mauer. Kein Problem, ich kannte den Weg. Ich marschierte nach rechts, bis ich die erste Schießscharte fand, die anderthalb Meter über dem Boden die Mauer durchbrach. Ich schlüpfte auf der Flanke hinein und landete auf der anderen Seite auf der mit Reif überzogenen Wiese.
       Diesmal blieb ich im Schatten der Mauer stehen. Über fünf Minuten lang beobachtete ich das Kloster. Nicht die geringste Regung. Ich ging los. Das gefrorene Gras knirschte unter meinen Schritten. Dunstfahnen entwichen meinem leicht geöffneten Mund. Mein Herz klopfte, und ich lauschte auf irgendein Lebenszeichen in diesem ausgestorben wirkenden Gebäudekomplex, der zwischen Himmel und Erde schwebte.
       War er ebenfalls da?
       Hielten wir beide den Atem an?
       An einer Ecke des Klosters blieb ich stehen. Ich zog meine Waffe. Kein Laut, keine Bewegung. Ich ging durch die Galerie und gelangte in den Innenhof. Ein in Stille gehülltes Rechteck aus blauem Gras. Zu beiden Seiten die im Dunkeln liegenden Laubengänge des Klosters. Und direkt vor mir die Statuen. Der heilige Matthäus mit seinem Beil; Jakobus der Ältere mit seinem Pilgerstab, Johannes mit seinem Kelch …
       Diese Heiligen waren unsere Vorbilder gewesen. Wir wollten Pilger, Apostel, Soldaten werden. Diese Gelübde hatten wir nicht verraten. Auf unsere Art wurden wir zu Kämpfern. Nicht zu Verbündeten, wie ich geglaubt hatte, sondern zu Gegnern.
       Durch die Kälte wurde ich allmählich ganz steif. Ich gab mir noch fünf Minuten, um herauszufinden, ob der Feind da war. Nach zwei Minuten spürte ich kaum noch etwas. Ich zitterte nicht mehr. Die Kälte hüllte mich ein und machte mich unempfindlich.
       Aber dann sagte ich mir, dass ich mich, wie auf dem Simplonpass, bewegen müsste, um keine Erfrierungen davonzutragen. Ich schlich mich unter das Gewölbe. Ich war nicht wirklich auf der Hut, denn ich wusste, dass Luc mit mir sprechen wollte, bevor er mich umbrachte. Diese Rede, diese Erklärung war ein notwendiger Epilog. Der folgerichtige Abschluss seiner großen Intrige. Der endgültige Sieg des Bösen über das Gute, wenn Satan seinem Opfer durch das Wort den Todesstoß versetzte.
       Vier Minuten.
       Ich hatte mich getäuscht. Luc war nicht da. Mein Arm sank nach unten, und ich legte meinen Zeigefinger auf den Sicherungsbügel meiner Waffe. Sackgasse. Luc war verschwunden, und ich hatte keine andere Spur. Ich hatte seine Botschaft falsch gedeutet.
       Da erkannte ich meinen Irrtum. DORT, WO ALLES BEGONNEN HAT.
       Die Geschichte nahm nicht hier, in diesem Kloster, ihren Anfang, sondern viel früher. Der wirkliche Ursprung der Legende Lucs war sein Unfall. Er hatte sich nicht in der Wiege unserer Freundschaft-Rivalität mit mir verabredet, er erwartete mich dort, wo er sein prägendes, schicksalhaftes Erlebnis hatte.
       In der Genderer-Höhle.
       Dort, wo sich ihm der Teufel offenbart hatte.

KAPITEL 120
    Laut dem Artikel über die Rettung Lucs lag die Höhle etwa dreißig Kilometer südlich von Lourdes, im Nationalpark der West-Pyrenäen. Ich umfuhr die Marienstadt und raste über die N21. Argelès-Gazost. Pierrefitte-Nestalas. Die Berge tauchten auf und bildeten ein dunkles Spalier. Cauterets. Im Stadtzentrum zeigte ein Schild die Richtung zur Genderer-Höhle an. Die Straße stieg an. Sich die geeignete Fallhöhe für den Sturz in die Hölle verschaffen, schoss es mir kurz den Kopf.
       Nach fünf Kilometern kam der Lac de Gaube in Sicht. Eine Landstraße verschwand rechts zwischen kahlen Bäumen. Ich schaltete herunter, um weiter bergauf zu fahren. Nach einer Kurve und einigen kurzen Durchblicken auf vereinzelte Häuser blieb nur ein jäher Felssporn: der Genderer.
       Die Straße endete abrupt an einem Parkplatz.
       Ich verriegelte den Wagen und begab mich zum Eingangsgebäude. Eine Reihe futuristischer Stahlbögen, die in die hohe Steilwand eingelassen waren. Die Kälte hatte hier eine andere Qualität. Sie war wie ein trockenes, erbarmungsloses Beißen, eine neue Stufe der Unwirtlichkeit. Die heftigen Windstöße ließen meinen Mantel knattern. Ich kam mir vor wie ein Engel der Erlösung, der in die letzte, entscheidende Schlacht zog.
       Unter den
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