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Das geheime Lied: Roman (German Edition)

Das geheime Lied: Roman (German Edition)

Titel: Das geheime Lied: Roman (German Edition)
Autoren: Andrés Pascual
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Violinen das Publikum auf dem Weg zum Höhepunkt der Symphonie mit. Endlich wagte es Michael, die Frage zu stellen: »Was willst du damit sagen?«
    In genau diesem Moment öffnete der Sicherheitschef die Tür zur Rollschuhbahn. Er versuchte, dabei keinen Lärm zu machen, die Angeln quietschten allerdings lauter als erwartet.
    Fabien nutzte die Unterbrechung.
    »Komm mal mit.« Er zog Michael hoch. »Ich möchte dir etwas zeigen.«
    »Es geht mir aber schon viel besser, wirklich«, winkte sein Freund ab und versuchte, gefasster zu wirken, als er eigentlich war. »Ich kann zu Fuß zum Hotel gehen.«
    »Ich bitte dich einfach nur um ein paar Minuten deiner Zeit. Komm doch kurz mit ins Bibliotheksarchiv.«
    »Was für ein Archiv denn?«
    Michael kannte die Bibliothek im ersten Stock, die eigentlich eher ein Museum war, aber er hatte noch nie davon gehört, dass es im Gebäude auch ein Archiv gab.
    »Vertrau mir.«
    Auf dem Flur fanden sie ein Grüppchen Theatermitarbeiter vor, die darüber spekulierten, was dem Maestro wohl zugestoßen war. Fabien wies sie an, wieder zu ihren Plätzen hinter der Bühne zurückzukehren. Als sie allein waren, führte er Michael über einige Metalltreppen und danach durch einen engen Gang, der vor einer Tür ohne jegliche Aufschrift endete. Der Theaterdirektor öffnete sie mit einem Schlüssel, den er aus der Innentasche des Smokings zog, und schaltete die Neonbeleuchtung ein. Vom ersten Moment an erkannte Michael, dass hier die wahren Schätze des Palais Garnier zu finden waren.
    In jenem schmucklosen Archiv lagerten mehr als dreihundert Jahre Geschichte. Seit der Gründung der Königlichen Musikakademie durch Ludwig XIV . hatte man hier wahre Kostbarkeiten zusammengetragen: Kostüme, Modelle der Kulissen, Bilder und Zeichnungen, die das musikalische Leben in Paris zum Thema hatten, und Hunderte von Originalpartituren und -librettos.
    »Hierhin hast du mich ja noch nie mitgenommen!«, rief Michael erstaunt aus.
    »Wir bewahren so viel Material auf, das noch nicht katalogisiert ist«, gab Fabien zu, während er sich in einen Gang zwischen Regalen schob, »aber wenigstens ist genug Platz für alles.« Er schob einige verpackte Gemälde beiseite, um an einen Schrank zu gelangen.
    »Was suchst du denn?«
    »Tut mir leid, dass es so schmutzig ist«, entschuldigte sich Fabien, ohne auf seine Frage einzugehen. Er drehte den Kopf zur Seite, um die Staubwolke nicht einzuatmen, die er beim Herumräumen aufgewirbelt hatte.
    Dann reckte er sich, öffnete eine Schublade und zog ein Kästchen in einer schützenden Stoffhülle hervor. Er setzte es auf den Tisch des Archivars und öffnete es mit fast zärtlicher Sorgfalt.
    »Da haben wir es ja schon.«
    Stolz deutete er auf das schlichte Manuskript aus nur vier Blättern, die zur Sicherheit an einer Seite zusammengenäht waren.
    »Warum zeigst du mir das?«
    »Es ist ein einzigartiges Stück.«
    »Das sieht aus wie ein Brief.«
    »Eher wie ein Testament. Eine freimütige Grundsatzerklärung vom Sterbebett einer faszinierenden Persönlichkeit.«
    Fabien konnte ein Lächeln kaum unterdrücken.
    »Um wen handelt es sich?«, fragte Michael, der sich der Begeisterung seines Freundes langsam nicht mehr widersetzen konnte.
    »Um den Sonnenkönig.«
    »Wie bitte?«
    »Du hast schon richtig gehört. Diese Seiten wurden von Ludwig XIV . höchstpersönlich verfasst.«
    Michael schüttelte den Kopf.
    »Das ist doch unmöglich.«
    »Wieso?«
    »Wenn sie wirklich von ihm stammen würden, dann lägen sie wohl kaum hier herum. Das Manuskript kann nicht echt sein.«
    »Hast du schon mal daran gedacht, dass die entscheidende Frage vielleicht gar nichts damit zu tun hat, ob das Dokument nun authentisch ist oder nicht?«
    »Wie meinst du das?«
    »Immerhin wird unser Leben doch von jenen Träumen bereichert, an die wir wirklich glauben, nicht wahr?«
    Michael nahm das Dokument in beide Hände.
    »Und was soll ich jetzt damit anfangen?«
    »Ich möchte, dass du es liest.«
    Sein Gegenüber schaute ihn verblüfft an.
    »Du willst doch nicht etwa, dass ich mir das jetzt ansehe?«
    »Es sind doch nur vier Seiten.«
    »Fabien, heute steht mir der Sinn wirklich nicht nach …«
    »Wenn du es gelesen hast, wirst du mich verstehen.«
    Fabien Rocher wischte mit der Hand über zwei Klappstühle und schob sie heran. Als er die Tischlampe einschaltete, fiel ein gelber Lichtkegel auf das Manuskript.
    Michael fuhr mit den Fingerspitzen über den ersten Satz:
    Ich bin ein König, der hier
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