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Das Gegenteil von Schokolade - Roman

Das Gegenteil von Schokolade - Roman

Titel: Das Gegenteil von Schokolade - Roman
Autoren: Mirijam Muentefering
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grunzt ungehalten und dreht sich auf die andere Seite.
    »Wie kommst du darauf?«
    Schulterzucken. Blickabwenden. »Dachte nur. Wenn ihr euch nett unterhalten habt. Vielleicht wäre das ja genau das, was dir gut tun würde …«
    Ich horche auf.
    »Wie jetzt? Was jetzt genau?«
    Michelin wackelt mit dem Kopf und erhebt sich. »Du auch noch einen Kaffee?«
    Als sie zurückkommt, klebe ich über meinem Konzept-Bogen, und sie hat unser letztes Gesprächsthema wahrscheinlich bereits wieder vergessen.
    »Michelin?«
    Zwölfnachzwölf, genau.
    »Michelin?«
    »Hm?«
    »Weißt du eigentlich, was Nachtangst ist?«
    »Ja. Sicher.«
    Ist das jetzt auch wieder so was Lesbisches?
    Drei Minuten nach eins.
    Gleich ist Loulous Mittagsrunde dran. Mein Konzept ist immer noch nicht fertig. Michelin recherchiert einen Beitrag für ein Gartenmagazin. In meinem Kopf gehen Worte spazieren, die ganze Zeit.
    »Was wird sie damit gemeint haben? Dass ich es bald schon merken werde? Ob sie glaubt, dass ich Schiss davor habe zu entdecken, dass mir da wirkliche Menschen gegenübersitzen?«, überlege ich nun schon zum dritten Mal laut und unüberhörbar. Aber Michelin tut so, als spräche ich nicht mit ihr.
    »Warum antwortest du nicht?«
    »Ich will dich nicht durcheinander bringen.«
    Damit bringt sie mich jetzt völlig durcheinander.
    Und sie weiß das auch.
    Ich sehe ihr zu, wie sie in einem Buch über exotische Fleisch fressende Pflanzen blättert und sich ein paar Notizen macht.
    »Michelin?!«, knurre ich nach einer Weile, in der sie nicht ein einziges Mal den Kopf gehoben hat.
    »War nur so ein Gedanke …«, summt Michelin in sich hinein und beugt sich über ihre Aufzeichnungen.
    »Ein Gedanke? Was für ein Gedanke?«
    »Dass du vielleicht nicht davor Angst hast herauszufinden, dass dir da Menschen gegenübersitzen, sondern eher davor, dass die Menschen entdecken, dass du ein Mensch aus Fleisch und Blut bist.«
    Das Telefon klingelt. Sie geht ran und ist sofort mit einem Botaniker in eine rege Unterhaltung über das Wunder der Aasgeruch verströmenden Wüstenblume verwickelt.
    Ein Mensch aus Fleisch und Blut. Angst. Entdecken.
    Um Viertel nach eins mache ich mich mit Loulou auf den Weg zum Bäcker, wo es hoffentlich noch belegte Brötchen gibt.
    Das sind die Unterhaltungen, die mir nicht aus dem Kopf gehen. Lange nicht.
    Und sie bringen mich so durcheinander, dass ich beim Bäcker mein Wechselgeld fast vergesse und beim Rausgehen »Guten Abend!« sage.
    Gedankenversunken schlendere ich Loulou hinterher, knabbere an meinem Mittagessen und habe das Gefühl, immer kurz an einer überraschenden Erkenntnis vorbeizuschrappen.
    Mein Innenleben steht Kopf, und das hat nicht nur etwas mit der Trennung zu tun, die inzwischen ja schon mehr als drei Monate zurückliegt. Nein, besonders turbulent geht es zu, seit ich mich des Öfteren in diesem Chat herumtreibe. Und gestern Abend … heute Nacht … wieder habe ich den Eindruck, dass mir ein klärender Gedanke dazu nur haarscharf verwehrt wird.
    Als ich um eine Ecke biege, schon wieder in Sichtweite des grün gestrichenen Altbaus, in dem Michelins Wohnung liegt, stoße ich fast mit zwei Mädchen zusammen. Sie tragen beide diese hippen Jacken, bei denen oben und unten zerrupftes Kunstfell rausguckt, und kichern hinter vorgehaltenen Händen.
    Mich beachten sie wirklich gar nicht. Aber sie werfen beide noch einen Blick zurück, wo ein cooler Typ von wahrscheinlich sage und schreibe sechzehn Jahren auf seinem Mofa an der Hauswand lehnt und sich gerade eine Zigarette ansteckt.
    Er tut so, als hätte er die beiden Mädels gar nicht bemerkt, und bläst gelassen den Rauch in die Luft.
    Loulou niest demonstrativ, als sie an ihm vorbeitrabt.
    Ich wende mich noch einmal um und schaue den Girlies hinterher, die eingehakt immer noch gackern und giggeln und dabei wirken, als hätten sie die gesamte sexuelle Energie von St. Pauli gepachtet.
    Da lichten sich in mir plötzlich Nebel. Dunstschwaden ziehen ab, und ich erkenne klar, was das für ein Gefühl ist, das da in mir umgeht. Dieses Gefühl, das ich kenne, das mir vertraut schien, aber nicht mehr greifbar war.
    Meine Hand zittert ein bisschen, als ich den Schlüssel rauskrame und die Haustür aufschließe. Loulou und ich beeilen uns, die Treppe hoch zu kommen. Sie, weil sie jetzt ihre Mittagsmahlzeit bekommen wird. Und ich?
    »Gut, dass du grad eine Pause machst«, platze ich raus, als ich Michelin in der Küche vorfinde. Sie holt gerade eine Lasagne aus der
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