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Das Erbstueck

Das Erbstueck

Titel: Das Erbstueck
Autoren: Anne B Ragde
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Mangel an Farben; weiße Fliesen von der Decke bis zum Boden, weißes Waschbecken, weiße Badewanne, weiße
Regale, weiße Handtücher, nur ein dunkelbrauner Toilettensitz aus Mahagoni brach das viele Weiß. Ich atmete tief durch und wusste, dass ich in diesem Haus nur schlafen könnte, wenn ich Stian unter der Decke ganz fest an mich drückte.
    Als ich ins Wohnzimmer ging und mir dabei das Handtuch an die Augen hielt, sagte ich: »Nimm die Puppen weg, Mutter, ich glaube, es liegt an ihnen.«

    Später hörte ich zu und trank bis zur Benommenheit. Ib und Mutter redeten. Mutter wollte sichergehen, dass das Krankenhaus wirklich begriffen hatte, welche Art von Trauerfeier sie sich wünschten. Oder eben nicht.
    »Aber ich konnte nicht verhindern«, sagte Ib, »dass in der Zeitung eine Todesanzeige erschien. Und da steht auch, dass die Beisetzung am Donnerstag stattfindet.«
    »Verdammt«, sagte Mutter.
    »Ich konnte das nicht verhindern, hab ich doch gesagt! Aber sie hatte kaum noch Kontakt zu den Alten.«
    »Weißt du«, sagte Mutter. »Jetzt muss ich es fast erzählen. Vor ungefähr einem Jahr hat sie mir einen Brief geschickt. Den hatte sie geschrieben, als sie getrunken hatte ... Prost!«
    Sie hob das Glas und leerte es. Sie sprach jetzt mit immer stärkerem dänischem Akzent; öffnete den Rachen und saugte die Töne hinein. Die Flasche war schon fast leer. »... und da standen die Namen von drei Männern«, sagte sie nun, »ich hatte keinen davon je gehört. Sie behauptete, alle drei seien tot. Aber einer von ihnen sei aller Wahrscheinlichkeit nach mein Vater gewesen.«
    Ib beugte sich vor und stützte die Ellbogen auf die Knie. »Aber Schwesterchen, hast du das überprüft? Die Namen? Ob sie ...«
    »Nein, ich wollte nicht. Sie hat mir doch so viele Namen genannt. Die von allen möglichen Schauspielern, lebenden und toten. Aber in diesem letzten Brief ... ich hatte seit Papas Tod nichts mehr von ihr gehört.«

    »Du hättest unbedingt ...«
    »Ich habe ihn weggeworfen. Und die Namen vergessen.«
    Er ließ sich wieder zurücksinken. »Diese Thalia, diese Thalia« , sagte er und schüttelte den Kopf. »Und jetzt wird sie uns zweihundert Kronen kosten. So viel verlangt das Krankenhaus.«
    »Keine Plakette«, sagte Mutter. »Oder wie das nun heißt.«
    »Ich weiß. Ich habe schon Bescheid gesagt. Die Urne geht direkt zu den Anonymen .«
    »Von mir aus können sie die Asche auch von der Knippelsbro streuen. Oder damit die Tauben auf dem Kongens Nytorv füttern« , sagte Mutter und lachte schrill.
    »Das ist leider verboten.«
    »Sie kann ja neben Papa landen. Neben deinem Vater«, sagte Mutter.
    »Und auch deinem. Er war auch dein Vater, Schwesterchen.«
    »Ja, das habe ich doch auch geglaubt ... sehr lange.«
    »Aber der Herr möge verhüten, dass er von den Toten auferweckt wird ... von ihr!«
    Sie lachten. Mutter starrte die leere Flasche an. Die wenigen brennenden Wandlampen tauchten ihr Gesicht in ein goldgeflecktes Licht, ein junges Licht. Vor allem ihre Augen sahen jung und blank aus, wie die eines Teddybären. Hinter ihr lagen Omas rosa und schwarz bestickte Sofakissen.
    »Auf seiner Beisetzung«, sagte Ib langsam und mit einem höhnischen Halblächeln, als werde er jetzt gleich einen Witz erzählen, deshalb wusste ich, dass die Geschichte von Oma handeln würde, nicht von Opa.
    »Als sie da in der ersten Reihe saß«, sagte er, »und in ihren Krokodilstränen badete, um ihn in den Ofen und die Asche danach ins Unbekannte zu schicken ... da kam Kristen herein. Du weißt doch, der Älteste von Tutt und Käse-Erik, und sie drehte sich um und entdeckte ihn. Die Kirche war voller Menschen, aber sie rannte durch den Mittelgang auf ihn zu. Vermutlich wusste sie, dass das ihre letzte Möglichkeit zu einem kleinen öffentlichem
Drama war. Sie rannte also auf ihn zu und schrie Kristen, Kristen, ich habe meinen Ernährer verloren!«
    »Herrgott! Drama bis zur letzten Minute!«, sagte Mutter.
    »Drama, ja! Lotte, weißt du noch, wie der Wind ein Loch in ihre Markise gerissen hat?«
    »Ja, danke«, sagte Lotte. »Ein zehn Zentimeter langer Riss, das war alles.«
    »Und sie heulte und schrie am Telefon herum und jammerte: Der Sturm zerstört mein Heim!«, rief Ib.
    Sie mussten sich beide zur Seite neigen, um ungehindert lachen zu können, ich selber lachte über den Tisch gebeugt, wegen Stian. Ich beobachtete dieses Lachen, sah mir an, wie es rein physisch produziert wird, dass die Luft stoßweise gegen die Stimmbänder
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