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Das Buch des Wandels

Titel: Das Buch des Wandels
Autoren: Matthias Horx
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Republik, bevor sich in der Nachfolge Caesars das Imperatorentum etablierte. Mit diesen
Frühformen der Demokratie wurde die instabile Dynamik der dynastischen Herrschaft mit ihrem Hang zu Intrigen, Meuchelmorden und frühen Toden zumindest teilweise gebrochen.
    Doch der Kern jeder imperialen Stabilität blieb stets die Fähigkeit zur militärischen Organisation. Die Macht des Römischen Reiches ruhte auf der Leistung, 35 Legionen mit je 5500 Soldaten aus 100 Kulturen über mehrere Kontinente hinweg kontinuierlich zu unterhalten und zu kontrollieren, auszurüsten und zu trainieren. Die fast schon industrielle Nutzung von Kriegstechniken und Versorgungslinien, die kontinentale Verlegung von Wasserleitungen und Straßen, aber auch die ausgeklügelte Verwaltungstechnik der Provinzen war die Basis des historischen Erfolgs des römischen Imperiums: Bis zu 40 Provinzen zu regieren, mit derselben konsularischen Prozedur und denselben Verwaltungsmethoden, mit Städten, die sich bis in die öffentlichen Bauten hinein glichen – das Römische Reich ähnelte einem gewaltigen Franchise-Unternehmen und war ein geschlossener Wirtschaftsraum. »Rom« konnte die Brotpreise in Pergamon bestimmen, aber auch in Londinium. Hinzu kamen die verbindende Kraft der klaren lateinischen Sprache und die von den Griechen und Arabern übernommene Mathematik. Manche Kulturtechniken von heute strukturierten schon die damalige Welt.
    Erstaunlicherweise gilt das Römische Reich heute weniger als Beispiel für Fortschritt und Erfindungsreichtum, vielmehr lesen wir seine Geschichte als Symbol eines dramatischen Untergangsprozesses – sein Ende und die danach folgenden chaotischen Zeiten des Mittelalters werden als Allegorie für das Scheitern von Zivilisation an sich gedeutet. Doch das römische Imperium überdauerte mehr als 500 Jahre (mehr als zehnmal so lang wie das amerikanische in der Neuzeit), bevor es sich in Ost-Rom neu gründete und noch einmal einige hundert Jahre Bestand hatte. Die zivilisatorischen Errungenschaften der Römer finden sich in der Kultur, der Technik- und Geistesgeschichte, der Architektur, Sprache und Ästhetik bis heute. In der Geschichte des Wandels
gibt es kein völliges »Verschwinden« oder doch nur höchst selten. Kulturformen, Ideen, Soziotechniken werden in Folge-Epochen auf vielfältige Art recycelt und variiert. Sie formen sich in »Meme« um – in durch Schrift, Sprache, kollektive Erinnerung von Generation zu Generation transportierte »geistige Replikatoren«. Wie die Gene in der biologischen Evolution bilden diese Meme die Bausteine, aus denen sich die Kulturformen der Zukunft zusammensetzen. Kulturgeschichte ist die Rekombination solcher Meme unter neuen historischen und technischen Bedingungen. 23
    Das römische Imperium scheiterte mit Sicherheit nicht an einer Ursache allein. Manche machen die Bekehrung Konstantins zum Christentum im Jahre 312 verantwortlich. Andere, wie Max Weber, die Erosion der Sklavenwirtschaft. Immer wieder wird mit der Überdehnung des Imperiums, mit der Dekadenz und Korruption der herrschenden Schichten argumentiert. Einen erheblichen Anteil hat jedoch eine Lebensweise, die ich in dieser Chronik des Wandels nur streifen kann: das »pastorale Nomadentum«. Jene Hirten- und Reitervölker, die in den ersten Jahrhunderten nach Chr. von Zentralasien nach Europa vordrangen: Hunnen, Tataren und Mongolen spielten beim Niedergang Roms eine Schlüsselrolle.
    Diese Reiterkulturen waren eine interessante Mischung aus mehreren Organisationsformen, die die Menschheit bis dahin entwickelt hatte. Vom Nomadentum stammte die eher antihierarchischen Organisation – junge, männliche Krieger bildeten zusammen eine mobile soziale Einheit, die Bindungen der Generationen blieb lose und informell. Politisch waren die Reitervölker tolerant, wenn sie ein Gebiet erst einmal erobert hatten. Die »Pax mongolica«, die mongolische Friedensgewähr, sicherte in weiten Teilen Eurasiens über hundert Jahre freien Handel, Kulturaustausch und Religionsfreiheit. Andererseits gab es in dieser dynamischen Kultur Big Men im Stile eines Dschingis Khan (etwa ein Zehntel der osteuropäischen Bevölkerung soll angeblich Gene vom großen Khan in sich tragen). Die Reitervölker waren eine
Zeitlang so erfolgreich, weil sie dezentrale und zentrale Strukturen effektvoll miteinander kombinierten . Ihre Eroberungslust sollte auch in der Evolution einer anderen Zivilisation eine zentrale Rolle spielen: des Großen und Ewigen China,
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