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Das bin doch ich

Das bin doch ich

Titel: Das bin doch ich
Autoren: Thomas Glavinic
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auch ich nicht weit sein. Ich bin nämlich immer der letzte, der geht.
    Im Taxi – irgendwie ist es mir gelungen, das Lokal zu verlassen – zieht es. Ich bitte den Fahrer, sein Fenster zuzumachen, er ist Ausländer und versteht mich nicht. Ich klopfe gegen meine Scheibe, will ihm damit sagen, er soll seine hochkurbeln, darauf senkt er mit einem fröhlichen Ausruf per Knopfdruck auch noch meine Scheibe. Ich gebe es auf.
    Ohne mir bewußt zu machen, wie spät es ist, schreibe ich meiner Agentin ein SMS : Was Neues?

Zwei
    Bis zwei Uhr früh spiele ich Civilization , dann gehe ich zu Bett. Es wird halb drei, es wird drei, und ich wälze mich noch immer herum. Es ist zu dunkel im Zimmer, und mir geht eine Geräuschquelle ab, ein Radio, ein Fernseher. Wäre ich allein, würde ich mich vor Gespenstern fürchten. Wäre ich allein, könnte ich auch das Licht einschalten, um mich nicht mehr zu fürchten. Aber dann würde Else neben mir aufwachen, und zwei Menschen würden sich von einer Seite auf die andere werfen.
    Finde ich einen guten Verlag? Wird mein Buch der Erfolg, den ich mir wünsche? Komme ich auf die Buchpreisliste?
    Mir wird bewußt, daß derartige Gedanken den Schlaf nicht befördern. Ich rufe bestimmte, seit Jahren für diesen Zweck gespeicherte surreale Bilder ab. Nützt nichts.
    Gegen halb vier beginnt Stanislaus zu weinen. Gerade war ich eingeschlafen, jetzt bin ich munter und ahne, nun wird es keinen Schlaf mehr geben.
    Else taumelt nach nebenan. Stanislaus läßt sich nicht beruhigen. Ich gehe hinüber. Sie drückt ihn mir in die Arme. Ihr ist übel, sie muß sich sofort wieder hinlegen. Am Abend zuvor war sie mit ihrer Freundin Linda aus, böhmisches Essen, einen Schnaps hinterher, dazu zwei Bier, das kann für eine Magenverstimmung schon mal reichen.
    Stanislaus grinst mich an. »Auto!« »Haus!« »Mama!« »Papa!« Er ist hellwach. Eine jener Nächte, in denen er Nähe braucht.
    Damit Else schlafen kann, verständigen wir uns darauf, daß sie sich ins Gästezimmer legt. Den Jungen nehme ich zu mir. Das bedeutet, mir stehen ein paar wüste Stunden bevor, aber ich muß ja morgen nicht arbeiten. Dabei würde ich gern. An einem Roman schreiben. Aber er ist fertig, und kein neuer in Sicht.
    Ich kann kaum die Augen offenhalten. Stanislaus liegt auf mir. Bohrt mir seine Schulter in den Kehlkopf. Küßt mich ungeschickt. Rutscht von meiner Brust, schmiegt sich an meine Seite. Ich weiß nicht, wieviel Zeit vergeht, bis er schläft. Eine Stunde, vielleicht mehr. Wahrscheinlich ist es schon nach fünf. Na, egal. Wie ich ihn so umarme, spüre ich die Energie dieses kleinen Körpers, auch im Schlaf liegt er kaum eine Sekunde wirklich still, immer ist ein Teil in Bewegung.
    Um elf fährt Else mit Stanislaus zu ihrer Mutter nach Graz. Ich setze mich an den Computer. Etwas kneift mich im Schritt. Ich würde gern nachsehen, aber ich traue mich nicht. Das Kneifen wird immer schlimmer. Ich gehe duschen, blind wie immer, ich habe Glück, nach dem Duschen ist das Kneifen weg.
    Zwölf Uhr. Ich habe Zeit. Um vier treffe ich eine Kinderärztin, die sich auf meinen Artikel im Standard gemeldet hat. Eigentlich handelte er von Hochstaplern, aber ich erwähnte darin meine Iatrophobie und Hypochondrie, und daß ich es bedauere, keine Ärzte zu Freunden zu haben. Ein Freund hat mir diesen Tip gegeben, gegen Hypochondrie helfe so etwas. Also habe ich vor einiger Zeit begonnen, in Nebensätzen diverser Artikel nach Freundschaften zu rufen. Dr. Thallner hat als erste geantwortet.
    Ich spiele wieder Civilization . Civ I habe ich 1995 gekauft, seit 2001 gibt es Civ III . Manchmal vergehen Monate, ohne daß ich die CD einlege, dann wieder verbringe ich zwei Wochen lang die Abende am Computer. Ich spiele, wenn ich deprimiert bin, wenn ich auf etwas warte, oder wenn ich gerade ein Buch fertiggeschrieben habe und das nächste noch nicht mehr als eine Ahnung ist.
    Um halb drei löse ich mich von meinem Konflikt mit den Deutschen, deren Panzer mir zu schaffen machen. Ich stecke das Buch ein, das ich gerade lese, und gehe zum Naschmarkt.
    Im Indian Pavillon esse ich. Es ist das dritte Mal in dieser Woche, und wir haben Mittwoch. Als es mir auffällt, ärgere ich mich. Ich bin wie ein Kind, alles muß seinen Gang gehen. Das Essen ist ausgezeichnet dort, aber jeden Tag? Ja, denn woanders könnte es ja schlecht schmecken und dann wäre ich verärgert usw. Thomas Glavinic ist ein Achtjähriger, und ich muß mit ihm leben.
    Während des Essens
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