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Da geht noch was: Mit 65 in die Kurve (German Edition)

Da geht noch was: Mit 65 in die Kurve (German Edition)

Titel: Da geht noch was: Mit 65 in die Kurve (German Edition)
Autoren: Christine Westermann
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braucht, um einmal zu blinzeln, bin ich beseelt, den Tränen nahe. Nein, ich weiß nicht, warum. Ich will es auch nicht ergründen. Man kann dem Glück nicht nachstellen, mit Worten gleich gar nicht.
    Das mag es nicht.
     
    Ist man glücklich, wenn man verliebt ist? Habe ich oft so empfunden. Heute würde ich es vorsichtiger Hochgefühl nennen, denn ich kenne auch die Fallhöhe.
    Hochgefühl, bei der Formulierung komme ich mir vor wie ein Mitarbeiter des Katasteramtes, der zufrieden an seinem Ärmelschoner zupft, weil es ihm soeben gelungen ist, etwas vage Schönes mithilfe einiger Buchstaben zu erwürgen.
    Glück ist gleich Hochgefühl?
     
    Ich habe dem bekannten Autor mit dem Glücksversprechen eine Mail geschrieben. Ihn gebeten, es mir noch einmal aufzuschreiben.
    Wann er es spürt.
    Und wie er es dann nennt.

3
    N och ehe er mir das Wechselgeld zurückgibt, steigt er aus, prüft kurz die Bordsteinkante und fängt an. Der Taxifahrer macht fünfzig Liegestütze, hinter uns hupt einer, den Turner stört es nicht. Er hat eine Mission. Er will mir zeigen, wie man sich beweglich hält, auch wenn man den ganzen Tag sitzen muss.
    »Ist ganz leicht«, sagt er, »auch für Frauen«. Er heftet den Blick auf meine Oberarme.
    Ich spanne automatisch die Muskeln an, was aber keine Wirkung zeigt. Flatterarm bleibt Flatterarm.
     
    Der Platz neben jenem Taxifahrer ist nicht einfach nur ein Beifahrersitz. Er wird zum Beichtstuhl, als der Liegestützenmann mir eröffnet, dass er in einem früheren Leben mal Zuhälter war. Ja, er hat auch Frauen geschlagen, aber nur, wenn es wirklich nicht mehr anders ging.
    Ob ich das schlimm fände, will er wissen.
    Die Frage ist doch, finde ich es schlimm, dass ich den Eindruck vermittle, als hätte ich die gottgegebene Autorität, während einer fünfzehnminütigen Fahrt mal eben wildfremde Menschen zum Beten von drei Rosenkränzen für vergangene und zukünftige Sündenfälle zu animieren?
     

    Möglicherweise muss bei meinem Taxifahrer auch noch ein Ave Maria dazu, denn er kramt weiter in seiner Vergangenheit und fördert mehrere Wohnungseinbrüche zu Tage.
    Früher natürlich.
    Früher, als er noch jung war. Was sie damals angestellt haben, war allerdings nichts im Vergleich zu dem, was heute los ist. Alles viel krimineller heute. Wo doch in jede dritte Wohnung eingebrochen werde.
    Könnte auch jede achte gewesen sein, das habe ich vergessen, weil das Gespräch kurz darauf einen für mich sehr ungünstigen Verlauf nimmt.
    Zunächst bleibe ich höflicher Fahrgast, möchte etwas zur Unterhaltung beitragen und erwähne, dass man auch in meine Wohnung mal eingebrochen habe, ich danach das Mensch-ärgere-Dich-nicht-Spiel, das ins Bücherregal gehört, unter der Matratze wiedergefunden hätte. Nein, gestohlen hätten sie nichts. Keinen teuren Schmuck, keine teuren Uhren.
    Wo nichts ist, kann man nichts klauen.
    Er wirft mir einen schnellen, scharfen Blick zu. »Tja«, sagt er, »da haben die sich mal geirrt. Die haben gedacht, eine alte Frau, die hat bestimmt Gold zu Hause liegen.«
     
    Bis ich begriffen hatte, was er meinte, hat es ein paar Augenblicke gedauert.
    Definitiv keine Amselmomente.
    Die alte Frau, das war ich.
    Lange danach, und auch jetzt wieder, frage ich mich, warum ich stumm geblieben bin.
    Warum ich mich nicht empört habe.
    Worüber?

    Über die alte Frau? War das unverschämt? Oder nur unhöflich? Oder schlicht wahr? Warum soll man nicht ansprechen, was man zu sehen glaubt? In Gedanken fallen meine möglichen Erwiderungen noch immer sehr kurz aus. Einsilbige Empörung.
    Im Ernstfall sind die mentalen oder verbalen Wehrübungen ohnehin sinnlos. Im Ernstfall übernimmt die Sprachlosigkeit. Siehe Turnschuhe.
     
    Ich stehe in Istanbul im Basar, ich will ein Paar Turnschuhe. Zitronengelbe, ich habe sie draußen baumeln sehen. Der Laden ist winzig, vollgestopft mit Schuhkram, Herren, Damen, Kinder. Um zitronengelbe Turnschuhe in meiner Größe zu finden, muss der kleinere Bruder des jungen Verkäufers auf eine Leiter und oben, im Speicherchaos unter dem Ladendach, suchen.
    Es dauert. Er flucht Unverständliches.
    Der große Bruder unten wirkt gereizt, guckt mich an. Erst meine Füße, die Beine, dann mein Gesicht.
    »Sie sind über fünfzig«, sagt er sichtlich genervt.
    »In Ihrem Alter tragen Frauen keine Turnschuhe mehr, sie tragen Business-Schuhe.« Voller Verachtung hält er mir ein Paar beigebrauner Schuhe hin, die aussehen, als kämen sie geradewegs aus dem Nachlass eines
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