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Cry Baby - Scharfe Schnitte: Thriller (German Edition)

Cry Baby - Scharfe Schnitte: Thriller (German Edition)

Titel: Cry Baby - Scharfe Schnitte: Thriller (German Edition)
Autoren: Gillian Flynn
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geschickt. Noch jung, ziemlich von sich eingenommen. Sitzt hier bloß seine Zeit ab. Möchten Sie ein Bild von Ann?« Er holte ein Schulfoto aus der Brieftasche, auf dem ein Mädchen mit schiefem Lächeln zu sehen war. Das hellbraune Haar war unregelmäßig auf Kinnlänge geschnitten.
    »Meine Frau wollte ihr am Abend vorher Wickler in die Haare drehen. Da hat Ann sie einfach abgeschnitten. War ein eigensinniges Ding. Ein Wildfang. Hat mich gewundert, dass man ausgerechnet sie geschnappt hat. Ashleigh war nämlich immer die Hübsche. Auf die die Leute gucken.« Er warf noch einen Blick auf das Foto. »Sie muss sich ganz schön gewehrt haben.«
    Bevor ich ging, nannte Nash mir noch die Adresse der Freundin, die Ann an jenem Abend besuchen wollte. Ich fuhr langsam dorthin. Die Grundstücke, an denen ich vorbeikam, waren penibel quadratisch ausgerichtet. Hier im Westen von Wind Gap stehen die neueren Häuser, und der Rasen ist grüner, weil man ihn erst dreißig Jahre zuvor in Soden angeliefert und säuberlich ausgerollt hat. Er ist nicht so dunkel, steif und stachlig wie das Gras, das vor dem Haus meiner Mutter wächst. Auf diesen Halmen konnte man allerdings besser pfeifen. Man konnte sie in der Mitte teilen, drauf blasen und einen Quietschton erzeugen, bis die Lippen juckten.
    Ann Nash hätte mit dem Rad ganze fünf Minuten bis zu ihrer Freundin gebraucht. Vielleicht fünfzehn, wenn sie einen Umweg gefahren wäre, um die erste Fahrt allein auch wirklich zu genießen. Mit neun ist man zu alt, um immer nur um denselben Block zu fahren. Was war aus dem Rad geworden?
    Langsam rollte ich an dem Haus vorbei, in dem Emily Stone wohnte. Als der Abend blau erblühte, konnte ich ein Mädchen an einem erleuchteten Fenster vorbeilaufen sehen. Wetten, dass Emilys Eltern seitdem zu ihren Freunden sagten: »Wir drücken sie jetzt jeden Abend ein bisschen fester«? Wetten, dass Emily sich fragte, wohin man Ann zum Sterben gebracht hatte?
    Ich jedenfalls fragte mich das. Es ist nicht leicht, einem Menschen über zwanzig Zähne auszureißen, so klein und leblos er auch sein mag. Es musste an einem besonderen Ort geschehen sein, einem sicheren Ort, an dem sich der Täter zwischendurch ausruhen konnte.
    Ich schaute mir Anns Foto noch einmal an, dessen Ränder sich schützend zum Gesicht wölbten. Der trotzige Haarschnitt und das Grinsen erinnerten mich an Natalie. Dieses Mädchen hier gefiel mir auch. Ich steckte das Foto ins Handschuhfach. Dann schob ich meinen Ärmel hoch und schrieb mit blauem Kugelschreiber ihren vollen Namen – Ann Marie Nash – auf die Innenseite meines Arms.
     
    Ich bog in keine Einfahrt, um zu wenden – die Leute waren nervös genug –, sondern fuhr an der nächsten Straße links und nahm einen Umweg zum Haus meiner Mutter. Ich überlegte, ob ich vorher anrufen sollte, ließ es aber bleiben. Zu spät am Abend und unnötig höflich. Hatte man erst die Staatsgrenze überquert, fragt man nicht mehr, ob man kurz hereinschneien kann.
    Ihr stattliches Haus liegt im südlichen Zipfel von Wind Gap, dem reichen Teil der Stadt, falls man drei Häuserblocks als eigenen Stadtteil bezeichnen kann. Sie wohnt in einem riesigen Haus im viktorianischen Stil samt Dachbalkon, einer Veranda, die das ganze Haus umgibt, und einer Kuppel auf dem Dach. Hier bin ich aufgewachsen. Das Haus steckt voller Kämmerchen und Nischen und wirkt seltsam verwinkelt. Die Menschen des 19 . Jahrhunderts, insbesondere die Südstaatler, brauchten viel Platz, um einander aus dem Weg zu gehen, um Tuberkulose und Influenza zu vermeiden, gierigen Gelüsten zu widerstehen und sich vor schwülen Gefühlen zu schützen. Je mehr Platz, desto besser.
    Das Haus liegt oben auf einer steilen Anhöhe. Man kann entweder im ersten Gang die Einfahrt hochkriechen und unter einem überdachten Anbau parken oder unten parken und die dreiundsechzig Stufen nehmen, die links von einem zigarrendünnen Geländer gesäumt werden. Als Kind stieg ich immer die Treppe hinauf und rannte die Einfahrt hinunter. Ich dachte, das Geländer sei nur deshalb auf der linken Seite angebracht, weil ich Linkshänderin bin. Wie vermessen von mir.
    Ich parkte unten, um nicht aufdringlich zu erscheinen. Als ich nassgeschwitzt oben ankam, hob ich mein Haar, um mir den Nacken zu kühlen, und wedelte mit meiner Bluse. Vulgäre Schweißflecken auf blauem Grund. Ich roch
deftig
, wie meine Mutter zu sagen pflegte.
    Früher hatte sich die Türklingel wie ein Katzenschrei angehört, jetzt
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