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Confusion

Confusion

Titel: Confusion
Autoren: Neal Stephenson , Nikolaus Stingl
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herum zugetragen hatte. Und dass es sich wirklich nur um die jüngste Zeit handelte, wurde durch die Länge seines Bartes infrage gestellt, der ihm bis zum Bauch reichte.
    Die Intensität der Kanonade nahm zu, falls das überhaupt noch möglich war, und erreichte ihren Höhepunkt, als die mit Gold überzogene Galeere an einer steinernen Mole anlegte, die in nicht allzu großer Entfernung in den Hafen hineinragte. Dann brach der Lärm urplötzlich ab.

    »Was, um Himmels willen...«, hob er an, doch der Rest seiner Äußerung ging unter in einem Geräusch, das durch Schrillheit wettmachte, was ihm – gegenüber Hunderten von gleichzeitig abgefeuerten Kanonen – an Lautstärke fehlte. Während er ihm verwundert lauschte, begann er, gewisse Ähnlichkeiten mit Musik zu entdecken. Es gab einen Rhythmus, wenn auch einen ausgesprochen komplizierten und übermütigen, und ebenso eine Melodie, die allerdings nicht in irgendeine zivilisierte Form gegossen war, sondern die wilden, durchdringenden Intonationen irischer Weisen besaß – und noch viel mehr. Harmonie, Lieblichkeit des Klangs und andere Eigenschaften, die man normalerweise mit Musik assoziiert, fehlten dagegen. Denn diese Türken oder Mauren oder was immer sie waren hatten kein Interesse an Flöten, Violen, Theorben oder sonstigen wohlklingenden Instrumenten. Ihre Kapelle bestand aus Trommeln, Zymbeln und einer grässlichen Schar riesiger Kriegsoboen, die aus Messing gehämmert und mit kreischenden, summenden Rohrblättchen versehen waren, und das Ergebnis klang ganz so wie ein bewaffneter Angriff auf einen von Staren besetzten Bergfried.
    »Alle Schotten, denen ich jemals begegnet bin, muss ich ergebenst um Verzeihung bitten«, rief er, »denn es ist gar nicht wahr, dass ihre Musik die jämmerlichste auf Erden ist.« Sein Gefährte neigte ein Ohr in seine Richtung, hörte aber wenig und verstand noch weniger.
    Nun war von der Stadt so ziemlich alles durch jene Mauer geschützt, die in der Christenheit nicht ihresgleichen fand. Aber diesseits davon gab es verschiedene Wellenbrecher, Molen, Geschützstellungen und Spuren schmutzigen Sandes, und alles, was das Gewicht eines Menschen oder eines Pferdes zu tragen vermochte, tat das auch und war bedeckt mit Reihen von Männern in unterschiedlichen prächtigen und exotischen Uniformen. Mit anderen Worten, alles, was man für eine Parade brauchte, war hier versammelt. Und nachdem viel hin und her gebrüllt, eine höllische Musik gespielt und eine weitere Kanonade abgefeuert worden war, begannen tatsächlich mehrere gewichtig erscheinende Türken (er war sich zunehmend sicher, dass es sich hier um Türken handelte), zu Pferd oder zu Fuß ein breites, in die mächtige Mauer eingelassenes Tor zu passieren und in der Stadt zu verschwinden. Die Spitze bildete ein unglaublich prachtvoller und Furcht einflößender Krieger auf einem schwarzen Schlachtross, flankiert von zwei die Kesselpauke schlagenden »Musikanten«. Der Trommelschlag erzeugte in ihm den unerklärlichen Drang, nach einem Ruder zu greifen.

    »Das, Jack, ist der Agha der Janitscharen«, sagte der Beschnittene.
    Dieser Vorname »Jack« kam ihm vertraut und auf jeden Fall brauchbar vor. Also war er Jack.
    Hinter den Kesselpauken ritt ein Graubart, fast so prachtvoll anzuschauen wie der Janitscharen- Agha , nur nicht so schwer bewaffnet. »Der Erste Minister«, erklärte Jacks Gefährte. Als Nächste folgten zu Fuß ein paar Dutzend mehr oder minder prächtig anzuschauende Offiziere (»die Agha Baschis«) und dann ein ganzer Haufen von Kerlen, die wunderschöne, mit erstklassigen Straußenfedern verzierte Turbane trugen – »die Bölük Baschis«, erfuhr er.
    Inzwischen war sonnenklar, dass dieser Bursche, der da neben Jack stand, zu der Sorte Mensch gehörte, die unermüdlich mit ihrem großen Wissen prahlte und ständig versuchte, gemeine Leute wie Jack zu belehren. Jack wollte schon anmerken, dass er derlei Belehrung weder wünschte noch brauchte, aber irgendetwas hinderte ihn daran. Vielleicht war es das vage, unwiderstehliche Gefühl, dass er diesen Burschen kannte, und zwar schon eine ganze Weile – was, wenn es stimmte, bedeutete, dass der andere nur versuchte, Konversation zu machen. Es konnte auch sein, dass Jack einfach nicht wusste, wo er sprachenmäßig anfangen sollte. Er wusste irgendwie, dass der Bölük Baschi einem Hauptmann entsprach, der Agha Baschi einen Rang darüber stand und der Janitscharen- Agha ein General war. Er wusste aber nicht,
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