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Commissario Montalbano 06 - Der Kavalier der späten Stunde

Commissario Montalbano 06 - Der Kavalier der späten Stunde

Titel: Commissario Montalbano 06 - Der Kavalier der späten Stunde
Autoren: Andrea Camilleri
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Mariastella sei verrückt?<, kenne ich Ihre Antwort schon: >Wir dachten nicht, sie sei verrückt, wir dachten, ihr Verhalten sei nachvollziehbar.<«
    »Stimmt«, sagte Signora Clementina überrascht, »genau das dachten wir. Mit ihrer ganzen Kraft lehnte Mariastella die Realität ab, sie sträubte sich dagegen, Waise zu sein, niemanden zu haben, an den sie sich anlehnen konnte.« Meine Güte, wie konnte er sogar die Gedanken der Prota­gonisten in dieser Geschichte kennen? Um 1970 waren er und sein Vater schon seit Jahren nicht mehr in Vigàta, sie hatten keine Verwandten oder Freunde dort, unter an­derem studierte er damals in Catania. Er kannte also nie­mand, der diese Geschichte erlebt und direkt mit ihr zu tun gehabt hatte. Wie also war das zu erklären? »Und was geschah dann?«, fragte er. »Ein paar Jahre lang lebte Mariastella von dem Wenigen, was sie von ihrem Vater geerbt hatte. Dann konnte ihr jemand aus der Verwandtschaft eine Stelle in Montelusa vermitteln. Sie arbeitete dort, bis sie fünfundvierzig war. Aber sie hatte zu niemand mehr Kontakt. Und dann kün­digte sie. Sie erklärte, wem, das weiß ich jetzt nicht mehr, sie hätte gekündigt, weil sie die Straße fürchtete, die sie jeden Tag nach Montelusa und zurück fahren musste. Der Verkehr hatte stark zugenommen, das machte sie nervös.«
    »Aber das sind nicht mal zehn Kilometer.«
    »Tja, was soll ich dazu sagen. Und wenn jemand sie darauf hinwies, dass sie von zu Hause in die Stadt auch mit dem Auto fahren musste, antwortete sie, dass sie sich auf dieser Straße sicherer fühle, weil sie sie kenne.«
    »Und wie kam es, dass sie wieder eine Stelle annahm? War sie darauf angewiesen?«
    »Nein. Während der Zeit, als sie in Montelusa arbeitete, hatte sie etwas auf die hohe Kante legen können. Außer­dem glaube ich, dass sie eine bescheidene Rente bekam. Bescheiden, aber ihr genügte sie vollauf. Nein, sie nahm die Stelle an, weil Gargano sie haben wollte.« Montalbano schnellte wie von der Tarantel gestochen aus dem Sessel hoch. Signora Vasile Cozzo erschrak über die Reaktion des Commissario und legte eine Hand auf ihr Herz.
    »Sie kannten sich vorher?!«
    »Commissario, beruhigen Sie sich, mich hätte ja fast der Schlag getroffen.«
    »Entschuldigen Sie«, sagte Montalbano und setzte sich wieder hin. »Meines Wissens hatte sie sich Gargano vor­gestellt.«
    »Nein, die Sache ging so. Als Emanuele Gargano das erste Mal nach Vigàta kam, fragte er nach Angelo Cosentino und erklärte, sein Onkel - jener Onkel, der in Mailand lebte und die Vaterrolle übernommen hatte - habe ihm erzählt, dass Angelo ihm in dessen Zeit als Bürgermeister sehr geholfen und ihn sogar vor der Pleite bewahrt habe. Ich selbst kann mich auch erinnern, dass es bis in die Fünfzigerjahre einen Handelsvertreter namens Filippo Gargano gegeben hatte. Die Leute sagten Gargano, dass Angelo gestorben war und es von der Familie nur noch eine Tochter, Mariastella, gab. Gargano wollte sie unbe­dingt kennen lernen, er bot ihr eine Stelle an, und sie wil­ligte ein.«
    »Warum?«
    »Wissen Sie, Commissario, Mariastella hat mir selbst von dieser Stelle erzählt. Da habe ich sie zum letzten Mal ge­sehen, danach hat sie mich nicht mehr besucht. Seit dem Tod des Vaters hatten wir uns etwa zehnmal getroffen. Die Antwort ist einfach, Commissario: Sie hatte sich naiv und unsterblich in Gargano verliebt. Man merkte es daran, wie sie von ihm sprach. Und meines Wissens hat Mariastella nie einen Freund gehabt. Armes Mädchen, Sie kennen sie ja…«
    »Warum?«, wiederholte Montalbano. Signora Clementina sah ihn verwirrt an. »Haben Sie mich nicht gehört? Mariastella hatte sich.«
    »Nein, ich frage mich, warum ein Schuft wie Gargano sie eingestellt hat. Aus Dankbarkeit? Nie und nimmer, Gar­gano ist ein Wolf. Er würde sein eigenes Rudel zerfleischen. Er hatte drei Angestellte in Vigàta. Einer - derjenige, der ermordet wurde - war gewieft und sehr kompetent in sei­nem Job, gab sich jedoch als mehr oder weniger inkompe­tent aus. Aber Gargano hatte ihn sehr schnell durchschaut. Dann eine bildschöne junge Frau. Und auch in diesem Fall kann man den Grund verstehen. Aber Mariastella?«
    »Aus Berechnung«, sagte die Signora. »Aus reiner Berech­nung. Zunächst, weil er in den Augen der Stadt damit als ein Mann erschien, der nicht vergessen hatte, wer ihn direkt oder indirekt unterstützt hatte. Und der sich für diese Unterstützung gewissermaßen revanchierte, indem er Mariastella
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