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Carre, John le

Carre, John le

Titel: Carre, John le
Autoren: Smileys Leute oder Agent in eigener Sache (Smiley Bd 7)
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Komplexität ihrer Gefühle für Alexandra, für sich
selbst und für ihre beiden toten Männer fertig, über ihre weibliche Torheit zu
lachen.
    »Und
dabei kenne ich nicht einmal seinen Namen!« sagte sie laut und schüttelte
spöttisch den Kopf. »Wie kann ich Sie erreichen?« hatte sie gefragt. »Wie kann
ich Sie benachrichtigen, wenn er wieder auftaucht?«
    Gar
nicht, hatte der Magier geantwortet. Aber sollte die Sache sich zuspitzen, dann
könne sie wieder an den General schreiben, unter seinem englischen Namen und
einer anderen Adresse. »Mr. Miller«, sagte er ernst, mit Betonung auf der
zweiten Silbe, und gab ihr eine Karte, auf der eine Londoner Adresse in Großbuchstaben
von Hand gedruckt war. »Aber seien Sie diskret«, mahnte er. »Sie müssen sich
indirekt ausdrücken.«
    An
diesem ganzen Tag und noch viele weitere Tage hindurch bewahrte die Ostrakowa
zuvorderst in ihrem Gedächtnis das letzte, schwindende Bild des Magiers, wie er
von ihr fort und das schlecht beleuchtete Treppenhaus hinabglitt. Seinen
letzten flammenden Blick, voll angespannter Entschlossenheit und Erregung:
»Mein Wort, ich pauke Sie heraus. Und Dank, daß Sie mich zu den Waffen riefen.«
Seine kleine weiße Hand, die auf dem breiten Treppengeländer hinunterflatterte,
Runde um Runde, in einer sich verengenden Spirale von Abschiedsgrüßen, wie ein
Taschentuch aus einem Eisenbahnfenster winkt, bis es in der Dunkelheit des
Tunnels verschwindet.

2
     
     
     
     
    Das
zweite der beiden Ereignisse, die George Smiley aus seinem Ruhestand holten,
fand ein paar Wochen später im Frühherbst desselben Jahres statt: nicht in
Paris, sondern in Hamburg, einstmals Freie und Hansestadt, jetzt fast erdrückt
unter der Last seines Wohlstands; und doch verglüht der Sommer nirgends so
glanzvoll, wie an den gold-orangenen Ufern der Alster, die bis jetzt noch
niemand trockengelegt oder zubetoniert hat. George Smiley bekam natürlich
nichts von dieser melancholischen Herbstpracht zu sehen. Er schuftete an dem
fraglichen Tag selbstvergessen und mit all der Überzeugung, die er aufbringen
konnte, an seinem gewohnten Tisch in der London Library am St. James's Square
vor sich hin, und alles, was er durch das Schiebefenster des Lesesaals sehen konnte,
waren zwei spindlige Bäume. Die einzige Beziehung zu Hamburg, die er hätte
anführen können - wäre ihm später eingefallen, einen Zusammenhang
herzustellen, was jedoch nicht der Fall war-, lag auf dem parnassischen Feld
deutscher Barocklyrik, denn er schrieb damals an einer Monographie über den
Barden Opitz, redlich bemüht, zwischen echter Leidenschaft und oder
literarischer Konvention der Zeit zu unterscheiden.
    In
Hamburg war es kurz nach elf Uhr morgens, und der Fußweg, der zum Landungssteg
führte, war mit Sonnenlicht und abgefallenem Laub gesprenkelt. Über dem
platten Wasser der Außenalster lag ein glühender Dunst, durch den die
Turmhelme am Ostufer wie grüne Flecke auf den nassen Horizont hingetupft
schienen. Rote Eichhörnchen schusselten am Strand entlang und sammelten Vorräte
für den Winter. Der schlaksige und leicht anarchistisch wirkende junge Mann auf
dem Steg, der einen Trainingsanzug und Laufschuhe trug und dessen hohlwangiges
Gesicht zwei Tage alte Bartstoppeln aufwies, hatte indessen weder Augen noch
Interesse für sie. Sein rotgeränderter Blick war starr auf das ankommende
Schiff geheftet. Unter den linken Arm hatte er eine Hamburger Zeitung geklemmt,
und ein so geschultes Auge wie das von George Smiley hätte sofort bemerkt, daß
es die Ausgabe von gestern war, nicht die von heute. In der rechten Hand hielt
er krampfhaft einen Strohkorb, der besser zur stämmigen Madame Ostrakowa
gepaßt hätte, als zu diesem elastischen und schmuddeligen Sportler, der
aussah, als wolle er jeden Moment ins Wasser springen. Aus dem Korb lugten
Orangen, auf denen ein gelber Kodak-Umschlag mit englischem Aufdruck lag. Außer
dem jungen Mann war niemand auf dem Landungssteg, und der Dunst über dem
Wasser verstärkte sein Gefühl der Einsamkeit. Seine einzigen Gefährten waren
der Fahrplan der Alsterschiffahrt und ein uralter Anschlag, der den Krieg
überstanden haben mußte und Hinweise zur Wiederbelebung von Halbertrunkenen
gab; alle Gedanken des Wartenden konzentrierten sich auf die Instruktionen des
Generals, die er sich immer wieder vorsagte, wie ein Gebet.
    Das
Schiff legte an, und der junge Mann hopste an Bord wie ein Kind in einem
Tanzspiel - ein Wirbel von Schritten, dann bewegungslos, bis
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