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Carre, John le

Carre, John le

Titel: Carre, John le
Autoren: Dame Koenig As Spion (Smiley Bd 5)
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um sich daran zu erinnern.«
    »Er kann
schließlich nicht die ganze Zeit im
Gefängnis gesessen haben«, sagte seine Mutter nach sehr langem Schweigen, ohne
von ihrer Arbeit aufzublicken.
    »Er hat
irgendwo gesteckt«, sagte Thursgood erbittert, und starrte über die
windgepeitschten Gärten hinweg zur Senke.
    Während
der ganzen Sommerferien, in denen er sich mühselig zwischen dem einen und dem
anderen Haushalt hin und her bewegte, zwischen freudigem Willkommen und
Zurückweichen, machte Bill Roach sich Sorgen über Jim, ob sein Rücken schmerzte,
wie er sich jetzt Geld verdiente, nachdem er niemanden mehr zu unterrichten und
nur das Gehalt für ein halbes Quartal zum Leben hatte; und vor allem, ob er
noch da sein würde, wenn das neue Quartal beginnen würde; denn er hatte das
vage Gefühl, Jim lebe so gefährlich auf der Weltoberfläche, daß er jeden Augenblick
herunter und ins Leere stürzen könnte; denn er befürchtete, Jim könne, wie er
selber, von keiner natürlichen Schwerkraft festgehalten werden. Er rief sich
ihre erste Begegnung wieder ins Gedächtnis, insbesondere die Frage nach seinen
Freunden, und er bekam eine Heidenangst, daß er nicht nur die Liebe seiner
Eltern, sondern auch die Zuneigung Jims verspielt hatte, vor allem wegen ihres
Altersunterschieds. Und daß Jim daher weitergezogen war und sich bereits
anderswo nach einem Gefährten umsah, die blassen Augen in anderen Schulen
umherschweifen ließ. Er stellte sich ferner vor, daß Jim, genau wie er selber,
eine tiefgehende Bindung gehabt hatte, die ihn enttäuscht hatte und für die er
einen Ersatz suchte. Aber hier war Bill Roach mit seinem Latein am Ende: Er
hatte keine Ahnung, wie Erwachsene einander liebten. Er konnte praktisch so
wenig für ihn tun. Er schlug in einem medizinischen Werk nach und fragte seine
Mutter über Bucklige aus, und er hätte zu gerne eine Flasche von seines Vaters
Wodka mitgehen lassen, um sie im Thursgood als Köder auszulegen, aber er
getraute sich nicht. Und als ihn schließlich der Chauffeur seiner Mutter an den
verhaßten Stufen absetzte, blieb er nicht einmal mehr stehen, um sich zu
verabschieden, sondern rannte, so schnell er konnte, zum Rand der Senke, und da
stand zu seiner grenzenlosen Freude Jims Wohnwagen noch immer am alten Platz in
der Mulde, um eine Nuance verdreckter, und daneben war ein frischer Erdhaufen
aufgeschüttet, für Wintergemüse. Und Jim saß auf der Stufe, grinste zu ihm
auf, als hätte er Bill kommen hören und das Willkommen-Grinsen schon bereit
gehabt, ehe Bill am Rand der Senke erschienen war. In diesem Quartal erfand Jim
einen Spitznamen für Roach. Anstatt Bill nannte er ihn nur noch Jumbo. Er gab
dafür keinen Grund an, und Roach war, wie dies bei Taufen üblicherweise der Fall
ist, nicht in der Lage, Einspruch zu erheben. Dafür ernannte Roach sich selber
zu Jims Beschützer, als Ersatzmann für Jims verschwundenen Freund, wer immer
dieser Freund gewesen sein mochte.
     
    George Smiley entdeckt, daß
unerwünschte Gesellschaft deprimierender ist als gar keine
     
    Im
Gegensatz zu Jim Prideaux war Mr. George Smiley von der Natur nicht für
Eilmärsche im Regen ausgerüstet, schon gar nicht mitten in der Nacht. Er hätte,
genau gesagt, die Endform sein können, für die Bill Roach der Prototyp war. Der
kleine, rundliche und, schonend ausgedrückt, mittelalte Mann gehörte dem Aussehen
nach zu Londons Sanftmütigen, die nicht das Erdreich besitzen werden. Seine
Beine waren kurz, sein Gang war alles andere als beschwingt, die Kleidung
teuer, schlechtsitzend und ungemein durchnäßt. Sein Mantel, der etwas von einer
Witwentracht an sich hatte, war aus jenem schwarzen lockeren Gewebe, das wie geschaffen
ist, den Regen aufzusaugen. Entweder waren die Ärmel zu lang oder seine Arme zu
kurz, denn wie bei Roach, wenn er seinen Regenmantel trug, verschwanden die
Finger fast in den Stulpen. Aus Eitelkeit trug er keinen Hut, da er zu Recht annahm,
daß Hüte ihn lächerlich machten: »Wie ein Eierwärmer«, hatte seine schöne Frau
bemerkt, nicht lange, ehe sie ihn das letzte Mal verlassen hatte, und ihre
Kritik war ihm, wie so oft, geblieben. So hatte der Regen sich in großen, nicht
abzuschüttelnden Tropfen auf seinen dicken Brillengläsern gesammelt und zwang
ihn, den Kopf abwechselnd zu senken oder in den Nacken zu werfen, während er
den Gehsteig vor den geschwärzten Arkaden der Victoria Station entlangeilte. Er
war auf dem Weg nach Westen, zur Freistatt in Chelsea, seiner Wohnung.
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