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Call the Midwife - Ruf des Lebens: Eine wahre Geschichte aus dem Londoner East End

Call the Midwife - Ruf des Lebens: Eine wahre Geschichte aus dem Londoner East End

Titel: Call the Midwife - Ruf des Lebens: Eine wahre Geschichte aus dem Londoner East End
Autoren: Jennifer Worth
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gefasst. Von der Verwirrung durch die Gehirnerschütterung war nichts mehr zu spüren.
    Von da an ging es ihr Tag für Tag besser. Das Penizillin tat zweifellos seine Wirkung, aber allein konnte das Medikament nicht innerhalb weniger Stunden für die erstaunliche Wandlung einer Frau verantwortlich sein, die nicht einmal den eigenen Mann erkannt hatte und dem Tod nahe gewesen war und nun entspannt und verständig genau wusste, was sie tat und warum.
    Ich vertrete die Theorie, dass sie der überlebende Junge geheilt hat und dass ihre Krise in dem Moment auf ihrem Höhepunkt war, als sie dachte, man nehme ihn ihr weg. In diesem Moment hatten ihre mächtigen Mutterinstinkte sich bemerkbar gemacht und sie hatte wieder gewusst, dass sie die Beschützerin und Versorgerin war. Sie hatte schlicht keine Zeit, krank zu sein. Sie konnte sich keine verschwommene Wahrnehmung leisten. Sein Leben hing von ihr ab.
    Wäre das Baby bei der Geburt gestorben oder hätte man es ins Krankenhaus gebracht, dann, glaube ich, wäre Conchita auch gestorben. Aus der Tierwelt kennt man Tausende solcher Geschichten. Ich habe gehört, dass Schafe und Elefanten sterben, wenn ihre Babys sterben, und überleben, wenn die Babys überleben.
    Der Grad von Bewusstsein oder Bewusstlosigkeit ist ebenfalls hochinteressant. Nachdem ich über die Jahre bei vielen sterbenden Patienten gesessen habe, bin ich mir alles andere als sicher, dass der Zustand, den wir als Bewusstlosigkeit bezeichnen, tatsächlich so sehr eine Phase des Nichtwissens ist, wie wir immer glauben. Bewusstlosigkeit kann viel mit Wissen und Intuition zu tun haben. Conchita schien das Bewusstsein weitgehend verloren zu haben und doch hielt ihre Hand das Baby fester, als der Kinderarzt es nehmen wollte. Sie konnte nicht gesehen haben, wer im Zimmer war, denn ihr Blick war zu verschwommen, und sie konnte nicht wissen, was gesagt wurde, da sie die Sprache nicht verstand. Und doch begriff sie auf irgendeine Weise, dass man ihr das Baby wegzunehmen plante, und dagegen wehrte sie sich mit ihrer letzten Kraft. Das hat sie geheilt.
    Douglas Bader, das Fliegerass aus der Luftschlacht um England, erzählt eine ganz ähnliche Geschichte. Nach einem Absturz und beidseitiger Oberschenkelamputation hörte er eine Stimme sagen: »Ruhe bitte, in diesem Zimmer liegt ein junger Flieger im Sterben.« Als ihm die Bedeutung der Worte klar wurde, dachte er: »Sterben? Ich? Das wollen wir doch mal sehen.« Der Rest ist Geschichte.
    Conchita griff nach einer Untertasse neben sich und begann, mit zwei Fingern eine ihrer Brustwarzen zusammenzudrücken, sodass ein paar Tropfen Kolostrum heraustropften und auf das Tellerchen fielen. Dann nahm sie ein dünnes Glasröhrchen, das eine ihrer Töchter zum Glasieren von Kuchen verwendete. Sie hielt ihr kleines Baby in der linken Hand, nahm einen Tropfen Kolostrum mit dem Röhrchen auf und berührte damit seine Lippen. Gebannt beobachtete ich die beiden. Seine Lippen waren nicht größer als die Blütenblätter eines Gänseblümchens. Eine winzige Zunge kam hervor und leckte die Flüssigkeit auf. Das wiederholte sie etwa sechs- oder achtmal und steckte danach den Kleinen wieder zurück zwischen ihre Brüste.
    Len sagte: »Das macht sie jetz seit sechs Uhr alle halbe Stunde. Dann schlafen die beiden ein Ründchen un anschließend macht sie es wieder. Sie hat gesagt, er stirbt nich, un das stimmt auch. Sie weiß, wie sie sich um ihn kümmern muss.«
    Ich versicherte mich, dass sie keine ungewöhnlichen Blutungen hatte, und ging. Ich musste im Nonnatus House Bericht erstatten und eine Bezirkskrankenschwester anfordern, die die Bluttransfusion überwachen sollte, wenn die Konserve eintraf. Der Smog löste sich allmählich auf, ich konnte gerade eben die andere Straßenseite erkennen. Als der stinkende Dunst verflog, war es, als erfülle neues Leben die Welt, und ich radelte gut gelaunt zurück.
    Schwester Julienne bereitete mir persönlich ein riesiges Frühstück mit einer doppelten Portion Speck und Ei, nur um »die gröbste Not zu lindern«, wie sie sagte, und nahm meinen Bericht im Speisesaal entgegen, während ich aß. Sie sagte: »Ich selbst habe noch nie ein so früh geborenes Baby versorgt, aber eine Schwester in einem unserer anderen Häuser hat entsprechende Erfahrung. Wir werden sie um Rat bitten. Wir müssen gut aufpassen, das Conchita nicht noch mehr Blut verliert.«
    Sie fand die ganze Geschichte faszinierend und sagte leise: »Gottes Wille geschehe.« Dann ging sie,
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