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Brunetti 02 - Endstation Venedig

Brunetti 02 - Endstation Venedig

Titel: Brunetti 02 - Endstation Venedig
Autoren: Donna Leon
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standen nur in kleinen Grüppchen herum, steckten die Köpfe zusammen und tuschelten. Einige waren unverkennbar Patienten, denn sie hatten Pyjamas oder Morgenmäntel an; andere trugen Anzüge, wieder andere die weißen Kittel von Pflegern. Direkt vor der Tür zur pathologischen Abteilung sah er eine Uniform, die ihm vertrauter war: Rossi stand vor der geschlossenen Tür, die eine Hand erhoben, um die Menge davon abzuhalten, noch näher zu kommen.
    »Was ist los, Rossi?« fragte Brunetti, während er sich durch die vorderste Reihe der Umstehenden drängte.
    »Ich weiß es nicht genau, Commissario. Wir sind vor einer halben Stunde angerufen worden. Der Anrufer sagte, eine alte Frau von nebenan aus dem Altersheim sei durchgedreht und würde hier alles kurz und klein schlagen. Ich bin daraufhin mit Vianello und Miotti hergekommen. Die beiden sind hineingegangen, und ich versuche zu verhindern, daß diese Leute hinterhergehen.«
    Brunetti ging um Rossi herum und stieß die Tür zur Pathologie auf. Drinnen sah es ähnlich aus wie draußen: Leute standen in kleinen Gruppen herum und redeten mit zusammengesteckten Köpfen. Allerdings trugen hier alle das Weiß des Krankenhauspersonals. Wörter und Satzfetzen drifteten durch den Raum an sein Ohr. »Impazzita«, »terribile «, »che paura «, »vecchiaccia«. Das paßte alles zu dem, was Rossi gesagt hatte, aber es erhellte für Brunetti in keiner Weise die Situation.
    Er ging auf die Tür zu, die zu den Untersuchungsräumen führte. Einer der Pfleger sah ihn, riß sich von seinem Grüppchen los und stellte sich ihm in den Weg. »Sie können da nicht rein. Die Polizei ist da.«
    »Ich bin von der Polizei«, erklärte Brunetti und wollte an ihm vorbei.
    »Zuerst müssen Sie sich ausweisen«, sagte der Mann und wollte Brunetti zurückhalten, indem er ihm die Hand auf die Brust legte.
    Der Widerstand des Mannes ließ Brunettis ganzen Zorn auf Viscardi wieder aufflammen; er ballte unwillkürlich die Hand zur Faust und holte aus. Der Mann wich einen Schritt zurück, und die kleine Bewegung genügte, um Brunetti wieder zur Besinnung zu bringen. Mit Mühe öffnete er die Finger, zog seine Brieftasche aus dem Jackett und zeigte dem Pfleger seinen Ausweis. Der Mann tat ja nur seine Pflicht.
    »Ich tue nur meine Pflicht«, sagte dieser und machte kehrt, um Brunetti die Tür zu öffnen.
    »Danke«, sagte Brunetti und ging an ihm vorbei, aber ohne ihm ins Gesicht zu sehen.
    Drinnen sah er Vianello und Miotti auf der anderen Seite des Zimmers stehen, beide über einen kleinen Mann gebeugt, der auf einem Stuhl saß und ein weißes Handtuch an seinen Kopf gepreßt hielt. Vianello hatte sein Notizbuch in der Hand und schien den Mann zu vernehmen. Als Brunetti hinzutrat, sahen alle drei hoch. In dem Moment erkannte er in dem dritten Mann Dr. Ottavio Bonaventura, Rizzardis Assistenten. Der junge Mann nickte grüßend, dann schloß er die Augen, legte den Kopf zurück und drückte wieder das Handtuch an seine Stirn.
    »Was ist denn los?« wollte Brunetti wissen.
    »Das versuchen wir gerade herauszufinden, Commissario«, antwortete Vianello mit einem Nicken zu Bonaventura hin. »Vor einer halben Stunde hat uns eine Schwester von da draußen angerufen«, sagte er, womit er offenbar die Anmeldung meinte. »Sie sagte, eine Irre hätte einen der Ärzte angegriffen, worauf wir so schnell wie möglich hergekommen sind. Offenbar konnten die Pfleger sie nicht zurückhalten, obwohl sie zu zweit waren.«
    »Zu dritt«, sagte Bonaventura, die Augen noch immer geschlossen.
    »Was ist passiert?«
    »Wir wissen es nicht. Wir versuchen es ja gerade herauszubekommen, Commissario. Als wir ankamen, war sie weg, aber wir wissen nicht, ob die Pfleger sie weggebracht haben. Wir wissen überhaupt nichts.« Vianello machte keine Anstalten, seine wütende Hilflosigkeit zu verbergen. Drei Männer sollten eine alte Frau nicht festhaken können?
    »Dottor Bonaventura«, sagte Brunetti, »können Sie uns sagen, was hier vorgefallen ist? Fühlen Sie sich dazu in der Lage?«
    Bonaventura nickte leicht. Er nahm das Handtuch von der Stirn, und Brunetti sah einen tiefen, blutigen Riß, der vom Backenknochen bis zum Haaransatz direkt über seinem Ohr verlief. Der Doktor drehte das Handtuch um und drückte es mit einer sauberen Stelle erneut auf die Wunde.
    »Ich war am Schreibtisch«, fing er an, ohne sich die Mühe zu machen, auf den einzigen Schreibtisch im Zimmer zu zeigen, »und habe Papierkram erledigt, als plötzlich diese
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