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Bruderschaft der Unsterblichen

Bruderschaft der Unsterblichen

Titel: Bruderschaft der Unsterblichen
Autoren: Robert Silverberg
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füllen. Wo steckt Ned?“
    „Für kleine Jungs“, erklärte ich ihm.
    „Gequirlte Scheiße.“ Timothy verschwand, um ihn zu holen. Wenige Momente später erschien er mit einem schmollenden Ned, der seinerseits von einer Zwei-Meter-Ausgabe Olivers begleitet wurde. Ein junger Apoll, vie l leicht sechzehn Jahre alt, mit schulterlangen Locken und einem Lavendelhaarband. Fixer Junge, dieser Ned. Fünf Sekunden, um die Lage zu überblicken, und dreißig we i tere, um das schönste Stück zu finden und mit ihm einig zu werden. Timothy war ihm jetzt in die Parade gefahren und hatte den Wunschtraum einer exquisiten Zweisa m keit in einem Hinterzimmer in East Village zerstört. N a türlich hatten wir jetzt keine Zeit, um Ned seinen Launen frönen zu lassen. Timothy barschte Neds Fundstück an, und Ned murrte Timothy an; der Apoll stampfte von dannen, und wir vier zogen nach draußen. Einen Block weiter zu einem hoffentlich zuverlässigeren Laden, dem ‚Plastikkäfig’, wo Timothy und Oliver im letzten Jahr oft verkehrt hatten: ein futuristisches Dekor, überall gewellte Platten aus dickem, glänzendem, grauem Plastik, die Kellner in auffällig bunten Science-Fiction-Kostümen, periodisch grelle Lichtausbrüche, ungefähr alle zehn M i nuten das betäubende, hämmernde Geschmetter eines Hard-Rock-Fetzers aus fünfzig Boxen. Eigentlich mehr eine Diskothek als ein Single-Bar, aber der Laden erfüllte beide Zwecke. Treffpunkt der Typen vom Columbia und Barnard und Sammelpunkt der Mädchen vom Hunter. High-School-Leute läßt man spüren, daß sie unerwünscht sind. Auf mich wirkte die Umgebung sehr fremd; ich habe kein Gespür für aktuelle Trends. Ich sitze lieber in einem Café, schlürfe Cappucino und rede über weltb e wegende Dinge, als mich in Single-Bars oder Diskoth e ken herumzutreiben. Rilke statt Rock, Platin statt Plastik. „Mann, du bist wohl der letzte Rest aus den fünfziger Jahren“, hatte Timothy mir mal gesagt. Timothy mit se i ner republikanischen Korea-Nahkampf-Frisur.
    Unser hauptsächliches Anliegen an diesem Abend war, einen Schlafplatz zu finden, ein Mädchen anzum a chen, das eine Wohnung mit Platz für vier männliche Gäste hat. Timothy würde das übernehmen; falls er Scheiß baute, hatten wir immer noch Oliver in Reserve. Dies war die Welt der beiden. Ich würde mich im Hoc h amt von St. Patrick weniger fehl am Platze fühlen. Für mich war das hier Sansibar, und ich vermute, für Ned war es Timbuktu, obwohl er sich mit seiner Chamäleo n haftigkeit überall anpassen konnte. Von seiner natürl i chen Leidenschaft durch Timothy abgebracht, wählte er jetzt die Hetero-Flagge zum Weitersegeln aus. In seiner angeborenen perversen Art hatte er sich gleich an das häßlichste Mädchen weit und breit herangemacht: ein Breigesicht mit wuchernden kanonenkugelähnlichen Brüsten unter einem ausgeweiteten roten Sweater. Er zog seine beste Show bei ihr ab, benahm sich ihr gegenüber wie ein schwuler Raskolnikow, der sie darum anfleht, ihn vor einem verruchten Leben voller Unzucht zu bewahren. Als er ihr ins Ohr flüsterte, befeuchtete sie beständig die Lippen, schlug die Augen auf und nieder und befingerte ihr Kruzifix, ja, sie hatte ein Kruzifix zwischen den Ju m bobällen hängen. Sie wirkte wie die Sally McNally direkt aus Mother Gabrini High, die den Kinderschuhen noch nicht lange entwachsen war; was kostete es doch für eine Anstrengung, diese loszuwerden. Und jetzt, dem Himmel sei Dank, war wirklich einer gekommen, der sie anm a chen wollte! Zweifellos würde Ned bald seine Verdorb e ner-Priester-Show abziehen, die Nummer vom gefallenen Jesuiten, und seine Aura von Dekadenz und romant i scher, katholischer Angst verbreiten. Würde Ned das durchhalten? Ja, er würde es schaffen. Mit dem Anspruch eines Poeten, der Erfahrungen sucht, verführte er immer die Nichtse und Nullen, die Spreu statt den Weizen: ein Mädchen mit nur einem Arm, ein Mädchen mit einem verkrüppelten Mund, eine Störchin, die ihn an Länge b e trächtlich überragte etc. etc. – Neds Verständnis von schwarzem Humor. Aber damit legte er mehr Mädchen flach als ich, schwul wie er war. Doch seine Eroberungen waren keine wirklichen Errungenschaften, sondern Tö l pel. Er behauptete, am eigentlichen Akt kein Vergnügen zu haben, nur an dem grausamen Spiel des Anmachens. Nun gut, sagte er, heute abend laßt ihr mich nicht Alk i biades haben, also nehme ich Xanthippe. Er verarschte die ganze normale Welt mit seiner Jagd nach dem D e
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