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Bruderschaft der Unsterblichen

Bruderschaft der Unsterblichen

Titel: Bruderschaft der Unsterblichen
Autoren: Robert Silverberg
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dünne, kratzige Stimme: Glaubst du wirklich, daß du hier etwas gewonnen hast? Wie kannst du dir dessen sicher sein? Wie sicher bist du dir, daß es möglich ist, das zu erlangen, wonach du strebst? Ich erlebte einen schrecklichen Moment voller Furcht, in dem ich mir vorstellte, ich starre mit rotgeränderten Augen in eine frostige Zukunft, sah mich selbst verwelken und zusammensacken und zu Staub zerfallen in einer leeren, verwüsteten Welt. Der Moment des Zweifels verging so schnell, wie er gekommen war. Vielleicht nur eine umherwandernde Böe zielloser Unzufriedenheit, die müßig über den Kontinent auf den Pazifik zuwehte und nur kurz angehalten hatte, um mich zu verwirren. Ich bebte von dem eben Erlebten und rannte ins Haus zurück, um Ned zu finden und ihm davon zu erzählen. Aber als ich mich seinem Zimmer näherte, erschien mir mit einemmal der ganze Vorfall viel zu lächerlich, um ihn zu schildern. Glaubst du wirklich, daß du hier etwas gewonnen hast? Wie hatte ich nur an allem zweifeln können? Ein beunruhigender Rückfall, Eli.
    Neds Tür stand offen. Ich sah hinein und entdeckte ihn, wie er ganz zusammengesunken dasaß und den Kopf in den Händen hielt. Irgendwie spürte er meine Anwesenheit. Er blickte rasch hoch, zog eine andere Miene auf, verbannte den flüchtigen Blick der Verzweiflung oder Niedergeschlagenheit und ersetzte ihn durch einen vorsichtig sanften Ausdruck. Aber seine Augen glänzten vor Angespanntheit, und ich meinte, das Funkeln beginnender Tränen zu sehen.
    „Du hast es also auch gefühlt?“ fragte ich.
    „Was gefühlt?“ Ziemlich trotzig.
    „Nichts, gar nichts.“ Ein nichtiges Achselzucken. Wie kannst du dir dessen sicher sein? Wir spielten nur miteinander, gaben nur etwas vor. Aber der Zweifel war an diesem Morgen allgegenwärtig. Eine ansteckende Krankheit hatte uns beide befallen. Wie sicher bist du dir, daß es möglich ist, das zu erlangen, wonach du suchst? Ich spürte, wie eine Mauer zwischen ihm und mir gezogen wurde, die mich davon abhielt, ihm von der Furcht zu berichten, die ich empfunden hatte, oder davon, ihn zu fragen, warum er so zerrüttet wirkte. Ich verließ ihn und ging erst in mein Zimmer, um zu baden, und später zum Frühstück. Ned und ich saßen zusammen, aber wir sprachen kaum ein Wort miteinander. Unsere allmorgendliche Sitzung mit Bruder Antony stand als nächstes auf dem Programm. Aber irgendwie hatte ich das Verlangen, nicht hinzugehen. Und als ich mit dem Essen fertig war, ging ich statt dessen auf mein Zimmer. Glaubst du wirklich, daß du hier etwas gefunden hast? Völlig verwirrt kniete ich vor dem großen Mosaik-Totenschädel an meiner Wand nieder und starrte ihn mit unbewegten Augen an, absorbierte ihn, zwang die Myriaden kleiner Teilchen aus Obsidian und Türkis, aus Jade und Muscheln zu schmelzen, zu zerfließen und ihre Form zu ändern, so lange, bis dieser Totenschädel vor meinen Augen Fleisch wurde und ich ein Gesicht über diesen dürren Knochen sehen konnte; und noch ein Gesicht, und noch eins, eine ganze Reihe von Gesichtern, eine flackernde, ständig wechselnde Ansammlung von Gesichtern. Jetzt sah ich Timothy, und jetzt stülpte sich der Schädel die feingeschnittenen Züge Olivers über, und jetzt sah ich meinen Vater, der sich rasch in meine Mutter verwandelte. Wie kannst du dir dessen sicher sein? Nun sah Bruder Antony von der Wand auf mich herunter, sprach mich in einer unbekannten Sprache an und wurde zu Bruder Miklos, der etwas von verlorenen Kontinenten und vergessenen Höhlen murmelte. Wie sicher bist du dir, daß es möglich ist, das zu erlangen, wonach du strebst? Jetzt sah ich ein schlankes, schüchternes Mädchen mit einer großen Nase, die ich kurz in New York geliebt hatte, und ich mußte angestrengt wegen ihrem Namen überlegen – Mickey? Mickey Bernstein? –, und ich sagte: „Hallo, ich bin nach Arizona gefahren, genau wie ich dir gesagt habe.“ Aber sie gab mir keine Antwort. Ich glaube, sie hat vergessen, wer ich bin. Sie verschwand, und an ihre Stelle trat das unfreundliche Mädchen aus dem Motel in Oklahoma und dann der schwerbrüstige Geist, der an mir vorbeigerauscht war, in jener Nacht in Chikago. Ich hörte das schrille Lachen wieder aus dem Abgrund aufsteigen, und ich fragte mich, ob mir jetzt wieder so ein Moment verheerender Zweifel bevorstand. Glaubst du wirklich, daß du hier etwas gewonnen hast? Plötzlich spähte Dr. Nicolescu auf mich herunter, ein graues Gesicht, traurige Augen, kopfschüttelnd
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