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Bruderschaft der Unsterblichen

Bruderschaft der Unsterblichen

Titel: Bruderschaft der Unsterblichen
Autoren: Robert Silverberg
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mich, glaubt Eli, spricht dieser große Mann aus seinem Grab. Der Essay ist fertiggestellt, und Eli zweifelt überhaupt nicht an dessen Bedeutung; er ist ganz einfach ein Meisterwerk. Darüber hinaus hat Eli das besondere Vergnügen zu wissen, daß er das Lebenswerk eines zu Unrecht unbekannten Wissenschaftlers geborgen hat. Er schickt die vorgeschriebenen sechs Bögen zum Wettbewerb ein. Im Frühjahr kommt das Einschreiben, das ihn davon in Kenntnis setzt, er habe gewonnen. Eli wird in eine Marmorhalle eingeladen, um dort eine Urkunde zu erhalten und einen Scheck über mehr Geld, als er sich das je hat vorstellen können; und er erhält begeisterte Glückwünsche von etlichen anerkannten Hochschulen. Wenig später schon erreicht ihn die erste Anfrage von einer Fachzeitschrift nach einem Beitrag. Seine Karriere hat begonnen. Erst später bemerkt Eli, daß er in seinem triumphalen Essay irgendwie total vergessen hat, den eigentlichen Autor zu würdigen, auf dem seine Thesen basierten.
    Dieses irrtümliche Versäumnis beschämt Eli, aber er weiß, daß es nun zu spät ist, den Essay noch einmal zu überarbeiten. Und während die Monate verstreichen, wird es für ihn immer unmöglicher, den Rumänen nachträglich zu würdigen: Sein Essay geht in Druck, die wissenschaftliche Diskussion setzt ein. Eli lebt in Furcht vor dem Moment, da einige ältere Rumänen auftauchen werden, ein Bündel seltsam aussehender Zeitschriften in der Hand, die noch aus dem Vorkriegs-Bukarest stammen, und schreien, daß dieser junge Mann schamlos die Gedanken seines alten und ehrenwerten Kollegen, des unglücklichen Dr. Nicolescu, gestohlen habe. Aber kein rumänischer Ankläger kommt. Jahre sind seitdem vergangen; der Essay wird überall Eli zugerechnet. Als sich das Ende seiner Oberschulzeit nähert, wetteifern etliche führende Universitäten um die Ehre, Eli an ihren Fakultäten seine Studien betreiben zu lassen.
    Und diese niederträchtige Episode, sagt Eli zum Abschluß, kann als Metapher für mein ganzes intellektuelles Leben stehen – alles ist nur Oberfläche, nichts dahinter, und die Grundideen sind geklaut. Er hatte lange Zeit damit verbracht, Arbeiten, die in Synthese entstanden waren, als eigene auszugeben, verbunden mit einer unbestreitbaren Fähigkeit, die Syntax archaischer Sprachen zu assimilieren. Aber aus eigener Kraft war es ihm noch nie gelungen, einen wirklichen Beitrag zum Wissen der Menschheit zu leisten. Zugegeben, für sein Alter wäre das sicher entschuldbar, hätte er nicht auf betrügerische Weise vorzeitig die Reputation des größten Denkers erhalten, der seit Benjamin Whorf das Feld der Linguistik betreten hatte. Aber was war er in Wahrheit? Ein Golem, ein Plagiator, ein wandelndes philologisches Potemkinsches Dorf. Wunder an Einsicht wurden nun von ihm erwartet, aber was konnte er geben? Er hatte nichts mehr. Schon vor langer Zeit hatte er die letzte Manuskriptseite des Rumänen aufgebraucht.
    Eine unheimliche Stille senkte sich auf uns herab. Ich konnte seinen Anblick nicht mehr ertragen. Das war mehr als eine Beichte gewesen, das war schon Harakiri. Eli hatte sich vor meinen Augen selbst zerstört. Ja, eigentlich war ich Elis nachgesagter Tiefgründigkeit immer mit etwas Mißtrauen begegnet; denn obwohl er unzweifelhaft über einen ausgezeichneten Verstand verfügte, hinterließen doch alle seine Erkenntnisse auf merkwürdige Weise in meinen Augen den Eindruck, sie stammten nicht von ihm. Trotzdem hätte ich diese Tat niemals von ihm angenommen, diesen Diebstahl, diesen Betrug. Was konnte ich schon sagen? Wie ein Priester glucken und ihm sagen, ja, mein Sohn, du hast schwer gefehlt? Das wußte Eli selbst. Ihm sagen, daß Gott ihm vergeben werde, weil Gott Liebe sei? Daran glaubte ich ja selbst nicht einmal. Vielleicht sollte ich es mit einer Prise Goethe versuchen und ihm sagen: Erlösung von einer Sünde kann immer noch durch gute Taten bewerkstelligt werden, Eli. Geh voran, lege Sümpfe trocken, erbaue Krankenhäuser und schreibe ein paar brillante Aufsätze, die nicht zusammengeklaut sind, und alles wird sich für dich zum Guten wenden. Eli saß da und wartete auf die Absolution, wartete auf das eine Wort, das das Joch von ihm nehmen würde. Er wünschte, er hätte mir eine weniger bedeutende fleischliche Sünde gebeichtet. Oliver hatte mit seinem Spielkameraden gebumst, das war schon alles, eine Tat, die in meinen Augen gar keine Sünde war, sondern nur Freude und Vergnügen. Deshalb war Olivers Qual auch
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