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Brooklyn

Brooklyn

Titel: Brooklyn
Autoren: Colm Tóibín
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die Tanzfläche, aber Jim Farrell rührte sich nicht von der Stelle. Nachdem er Nancy und Eilis die Gläser voll Limonade gereicht hatte, stellte George sie Jim Farrell förmlich vor, der nur knapp nickte, ihnen aber nicht die Hand gab. George wirkte ratlos, wie er da stand und an seinem Glas nippte. Er sagte etwas zu Nancy, und sie antwortete. Dann nahm er einen weiteren Schluck. Eilis fragte sich, was er jetzt wohl tun würde; es war offensichtlich, dass sein Freund etwas gegen sie und Nancy hatte und nicht beabsichtigte, mit ihnen ein Wort zu wechseln; Eilis wünschte sich, man hätte sie nicht einfach so mit an die Bar genommen. Sie trank einen Schluck und schaute zu Boden. Als sie die Augen hob, sah sie, dass Jim Farrell Nancy kühl musterte, und als er dann merkte, dass er beobachtet wurde, änderte er seine Haltung und starrte mit ausdruckslosem Gesicht sie an. Er trug ein teures Sportsakko und ein Hemd mit einem Halstuch.
    George stellte sein Glas auf die Theke, wandte sich zu Nancy und forderte sie zum Tanzen auf; er gab Jim ein Zeichen, als wollte er ihm zu verstehen geben, er sollte das gleiche tun. Nancy lächelte George und dann Eilis und Jim zu, stellte ihr Glas hin und begleitete ihn zur Tanzfläche. Sie wirkte erleichtert und glücklich. Als Eilis sich umschaute, sah sie, dass sie und Jim Farrell allein an der Theke standen und dass an der Damenseite des Saales kein einziger Platz frei war. Sie saß in der Falle, konnte höchstens wieder auf die Toilette oder nach Hause gehen. Für einen Moment sah es so aus, als würde Jim Farrell einen Schritt nach vorn tun, um sie zum Tanzen aufzufordern. Da sie das Gefühl hatte, siehabe keine andere Wahl, war Eilis bereit anzunehmen; sie wollte Georges Freund gegenüber nicht unhöflich sein. Gerade als sie seine Aufforderung annehmen wollte, schien Jim Farrell es sich aber anders zu überlegen, zog sich wieder zurück und sah sich, ohne sie weiter zu beachten, mit einer fast herrischen Miene im Saal um. Er schaute sie nicht wieder an, und als das Stück zu Ende war, suchte sie Nancy, sagte ihr leise, sie gehe jetzt, und verabschiedete sich. Sie gab George die Hand und entschuldigte sich damit, sie sei müde, und dann verließ sie den Saal so würdevoll, wie es ihr möglich war.
    Am nächsten Tag erzählte sie ihrer Mutter und Rose beim Abendessen die Geschichte. Anfangs hörten sie mit Interesse, dass Nancy an zwei aufeinanderfolgenden Sonntagen mit George Sheridan getanzt hatte, aber als Eilis ihnen von Jim Farrells unhöflichem Betragen erzählte, wurden sie richtig aufgeregt.
    »Mach ab jetzt einen großen Bogen um das Athenaeum«, sagte Rose.
    »Euer Vater kannte seinen Vater gut«, sagte ihre Mutter. »Das ist Jahre her. Sie sind ein paarmal zusammen zum Pferderennen gegangen. Und euer Vater trank manchmal ein Glas im Farrell’s. Es ist ein sehr gepflegtes Lokal. Und seine Mutter ist eine reizende Frau, sie war eine Duggan aus Glenbrien. Es muss am Rugbyverein liegen, dass er so geworden ist, und es muss traurig für seine Eltern sein, einen solchen Schnösel zum Sohn zu haben, denn er ist ihr einziges Kind.«
    »Er klingt allerdings wie ein Schnösel, und er sieht auch wie einer aus«, sagte Rose.
    »Na ja, jedenfalls war er gestern abend schlecht gelaunt«, sagte Eilis. »Das ist alles, was ich dazu sagen kann. Vermutlich meint er, dass George jemand Besseres als Nancy haben sollte.«
    »Das ist keine Entschuldigung«, sagte ihre Mutter. »Nancy Byrne ist eines der schönsten Mädchen dieser Stadt. George könnte sich sehr glücklich schätzen, sie zu bekommen.«
    »Ich weiß nicht, ob seine Mutter derselben Meinung wäre«, sagte Rose.
    »Manche Ladenbesitzer in dieser Stadt«, sagte ihre Mutter, »besonders die, die billig einkaufen und teuer verkaufen, haben nichts anderes als ein paar Meter Ladentheke, und sie müssen den ganzen Tag herumsitzen und auf Kundschaft warten. Ich weiß nicht, auf was sie sich eigentlich so viel einbilden.«

    Obwohl Miss Kelly Eilis lediglich siebeneinhalb Shilling die Woche bezahlte dafür, dass sie sonntags arbeitete, schickte sie oft Mary auch zu anderen Zeiten vorbei, damit sie sie holte – einmal, als sie sich die Haare richten lassen wollte, ohne den Laden schließen zu müssen, und ein andermal, als alle Konservendosen aus den Regalen geholt und abgestaubt und dann wieder an ihren Platz gestellt werden sollten. Zwar gab sie Eilis jedesmal zwei Shilling, aber sie hielt sie stundenlang auf und beklagte sich bei
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