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Brooklyn

Brooklyn

Titel: Brooklyn
Autoren: Colm Tóibín
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gegangen. Und es hat da außerdem so komisch gerochen, keine Ahnung, wonach. Sie hat so eine kleine Sklavin, nicht? Die hat sie aus einer Klosterschule rausgeholt.«
    »Ihr Vater war ein richtig netter Mann«, sagte ihre Mutter, »aber sie hatte keine Chance, denn ihre Mutter, ich hab’s dir ja schon erzählt, Eilis, war das leibhaftige Böse. Als eines der Dienstmädchen sich einmal verbrühte, durfte es nicht mal zum Arzt, hab ich gehört. Die Mutter ließ Nelly, sobald sie laufen konnte, im Laden mitarbeiten. Sie hat nie das Tageslicht gesehen, deswegen stimmt was mit ihr nicht.«
    »Nelly Kelly?« fragte Rose. »Heißt sie wirklich so?«
    »Auf der Schule hatte sie einen anderen Namen.«
    »Nämlich?«
    »Alle nannten sie Nettles Kelly. Die Nonnen konnten nichts dagegen unternehmen. Ich erinnere mich gut an sie, sie war eine oder zwei Klassen unter mir. Wenn sie den Mercy Convent verließ,hatte sie immer fünf oder sechs Mädchen im Schlepptau, die ihr ›Nettles‹ nachschrien. Kein Wunder, dass sie so verbiestert ist.«
    Während Rose und Eilis das verdauten, herrschte eine Weile Schweigen.
    »Da weiß man gar nicht, ob man lachen oder weinen soll«, sagte Rose.
    Im weiteren Verlauf der Mahlzeit stellte Eilis fest, dass es ihr gelang, Miss Kellys Stimme so nachzuahmen, dass ihre Schwester und ihre Mutter lachen mussten. Sie fragte sich, ob sie die einzige war, die sich daran erinnerte, dass ihr Bruder Jack früher immer die Sonntagspredigt, die Sportberichterstatter im Radio, die Schullehrer und viele stadtbekannte Personen imitiert und sie damit alle zum Lachen gebracht hatte. Sie wusste nicht, ob den anderen beiden ebenfalls auffiel, dass sie zum erstenmal lachten, seit Jack den anderen nach Birmingham gefolgt war. Sie hätte so gern etwas über ihn gesagt, aber sie wusste, dass es ihre Mutter traurig gemacht hätte. Selbst wenn ein Brief von ihm kam, wurde er wortlos herumgereicht. Also fuhr sie fort, sich über Miss Kelly lustig zu machen, und hörte damit erst auf, als jemand kam, um Rose zum Golfspielen abzuholen, womit es Eilis und ihrer Mutter überlassen blieb, den Tisch abzuräumen und das Geschirr zu spülen.

    Als Eilis an dem Abend Nancy Byrne um neun Uhr abholte, war ihr klar, dass sie sich nicht schön genug hergerichtet hatte. Sie hatte sich die Haare gewaschen und ein Sommerkleid angezogen, aber sie fühlte sich wie eine graue Maus und hatte sich schon mit dem Gedanken abgefunden, dass sie, wenn Nancy mehr als nur einen Tanz mit George Sheridan tanzen sollte, allein nach Hause gehen würde. Sie war froh, dass Rose sie nicht gesehen hatte, bevor sie gegangen war, da sie ihr sonst zugeredet hätte, etwas mehr mit ihrem Haar zu machen und sich ein bisschen zu schminken und überhaupt zu versuchen, eleganter auszusehen.
    »Also, der Plan lautet«, sagte Nancy, »dass wir George Sheridan keines Blickes würdigen, und vielleicht ist er ja auch mit einer ganzen Clique vom Rugbyverein zusammen oder überhaupt nicht da. Sonntagabends fahren die oft raus nach Courtown, diese Typen. Also müssen wir uns angeregt unterhalten. Und ich tanze mit keinem anderen, für den Fall, dass er auftaucht und mich sieht. Wenn also jemand uns auffordern will, stehen wir einfach auf und gehen auf die Toilette.«
    Es war deutlich zu sehen, dass sich Nancy, mit Hilfe ihrer Schwester und ihrer Mutter, denen sie zuletzt doch von George Sheridan erzählt hatte, sehr große Mühe mit ihrem Aussehen gegeben hatte. Sie hatte sich am Vortag die Haare richten lassen, trug ein blaues Kleid, das Eilis erst einmal gesehen hatte, und schminkte sich jetzt vor dem Badezimmerspiegel, während ihre Mutter und Schwester im Zimmer ein und aus gingen und Ratschläge und bewundernde Kommentare von sich gaben.
    Sie gingen schweigend von der Friary Street in die Church Street und dann um die Ecke in die Castle Street und ins Athenaeum und die Treppe hinauf in den Saal. Es überraschte Eilis nicht, wie nervös Nancy war. Es war ein Jahr her, seit ihr Freund sie schlimm enttäuscht hatte, indem er eines Abends in genau diesem Saal mit einem anderen Mädchen aufgetaucht und den ganzen Abend bei diesem Mädchen geblieben war und dabei Nancy, die dasaß und zuschaute, kaum zur Kenntnis genommen hatte. Später war er nach England gegangen und war nur für kurze Zeit zurückgekommen, um das Mädchen, mit dem er an dem Abend zusammengewesen war, zu heiraten. Nicht nur sah George Sheridan gut aus und hatte einen Wagen, sondern er führte auch einen
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