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Bookman - Das ewige Empire 1

Bookman - Das ewige Empire 1

Titel: Bookman - Das ewige Empire 1
Autoren: Lavie Tidhar
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aus
den Straßen zu verbannen. Oxford war eine kalte Stadt, durch deren breite
Alleen Windstöße jagten – wie hungrige Ratten in einem Labyrinth.
    Sobald sie den Bahnhof verlassen hatten, schienen es die Männer, die
er verfolgte, nicht mehr eilig zu haben. Sie gingen zu Fuß und trugen den Sarg
zwischen sich, was ihnen offenbar keinerlei Mühe bereitete. Orphan folgte ihnen
in gebührendem Abstand.
    Beim Überqueren der Hythe Bridge warf er einen Blick auf den
Oxforder Kanal, der hier den Charakter eines ländlichen Flusses hatte. Das mit
Schilfrohr bewachsene Ufer wurde von Weiden gesäumt, deren Zweige über das
trübe, mit verfaultem Laub bedeckte Wasser hingen. Plötzlich teilte sich das
Wasser, und zu Orphans Erstaunen tauchte ein kleiner Wal auf, der mit
kummervollen Augen zu ihm hochblickte.
    Wale! So weit im Landesinneren?
    Der Wal stimmte einen kurzen, leisen Gesang an, um dann wieder unter
Wasser zu verschwinden. Orphan spürte, wie seine innere Spannung nachließ. Es
machte ihn froh, einen Wal gesehen zu haben.
    Weiter ging es zur George Street, die auffällig leer war. Die
Geschäfte waren geschlossen und verrammelt, nur die Pubs hatten noch geöffnet.
Sehnsüchtig spähte Orphan durch die Fenster nach drinnen, wo es Wärme, andere
Menschen … und Bier gab. Durch die geschlossenen Türen drang Tabakrauch nach
draußen. In Oxford hatte man sich für die Nacht zurückgezogen, wenn auch nicht
– wie in der Hauptstadt – aus Angst. Hier verlief das Leben weiter in
geregelten Bahnen, und wenn die Menschen in ihren Häusern blieben, dann
ausschließlich wegen der Kälte. Niemand war auf der Straße, der die vier
seltsamen Männer mit ihrer makabren Last hätte bemerken können.
    Wo wollen die eigentlich hin?, sinnierte Orphan. Wo versteckte sich
der Bookman?
    Als sie die Broad Street erreichten, merkte Orphan auf, denn in
dieser Straße gab es zahlreiche Buchläden. Vor sich erblickte er die Kuppel der
Bodleian Library, die fahlgrün schimmerte, während um ihn herum Bücher zur
Schau gestellt waren, hinter schmutzigen Ladenscheiben und auf staubigen
Regalen. Die Bücher schienen ihm etwas zuzuflüstern, nach ihm zu greifen, als
wollten sie ihn in ihre Traumwelt locken. Irgendwo flackerte eine Gaslaterne.
Langsam steuerten die Männer des Bookman auf Thorntons Buchladen zu. Eine Tür
öffnete sich, und sie verschwanden im Geschäft.
    Orphan blieb vor der Tür stehen. Von drinnen war nichts zu hören.
Auch Licht war nirgendwo zu sehen. Hier ist das Versteck des Bookman, dachte
er. Wieder ein Buchladen. Er spürte, wie das Ei in seiner Brusttasche
pulsierte. Unter dem Mantel trug er einen Revolver, den Irene ihm gegeben
hatte. Und er hatte das Übertragungsgerät des Binders bei sich, wozu auch immer
es dienen mochte. Die Tür war, wie er feststellte, verschlossen.
    Kurzerhand trat er sie ein.
    Gleich fühlte er sich besser, irgendwie wacher und größer als zuvor.
Er betrat den dunklen Laden. Regale voll staubiger Bücher. Eine Ladenkasse, ein
Geschäftsbuch, eine kleine Leiter auf Rollen.
    Keine schwarz gekleideten Männer. Kein Doppelgänger im Sarg. Orphan
sah sich um.
    Das Ei pulsierte immer stärker. Orphan spürte, wie es ihn
beeinflusste, denn auf einmal konnte er alles in größter Deutlichkeit
wahrnehmen, konnte jedes Staubkorn erkennen, das durch die Luft schwebte. All
diese Staubkörner bildeten ein Netz, ein dreidimensionales Muster aus Schmutz
und abgestandener Luft. Und dieses Netz schien ihn zu manipulieren.
    Schnurstracks steuerte er auf das Buch zu, auf das ihn seine
geschärften Sinne hinlenkten, als sei es ein Leuchtturm: Alice
hinter den Spiegeln , die vor sechzehn Jahren erschienene Erstausgabe im
ursprünglichen roten Leineneinband. Er drückte dagegen und erwartete, dass das
Buchregal sich drehen würde.
    Stattdessen gab der Boden unter ihm nach.
    Mit einem Aufschrei stürzte er nach unten.
    Die Luft peitschte ihm ins Gesicht. Warme, muffige Luft.
    Er fiel und fiel, bis er in einer Biegung des Schachts aufkam, von
der aus es wie auf einer Rutschbahn in rasender Geschwindigkeit nach unten
ging.
    Seine Reise endete recht abrupt, als er (ziemlich unsanft) auf etwas
landete, das sich zwar weich anfühlte, aber allerlei Ecken und Kanten hatte.
    Leise vor sich hin stöhnend, blieb er einen Moment liegen. Das ist
wirklich das letzte Mal!,
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