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Bleiernes Schweigen

Bleiernes Schweigen

Titel: Bleiernes Schweigen
Autoren: P Fogli
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den Pistolenknauf aus ihrer Regenmanteltasche ragen.
     
    Sie heißt Arianna und sagt, sie sei mir seit einer Weile gefolgt. Zwei Abende habe sie auf der anderen Straßenseite gewartet, bis sie den Mut hatte, hierherzukommen. Sie sagt, wenn sie es nicht heute Abend getan hätte, hätte sie es nie mehr getan.
    Ich höre ihr zu. Sitze auf der Sofakante und warte. Schließlich verstummt sie. Sie bittet mich um etwas zu trinken, ich entschuldige mich, ihr nichts angeboten zu haben, sie will nur Wasser. Mit entwaffnender Langsamkeit und gesenktem Kopf trinkt sie zwei Gläser. Dann holt sie tief Luft und sieht mich plötzlich erleichtert an.
    »Ich kenne Michela seit unserer Kindheit«, sagt sie. »Es hat keinen Zweck, Ihnen die ganze Geschichte zu erzählen, es fängt in der Grundschule an und …«
    Ich unterbreche sie. Deute auf ihre Jackentasche.
    »Und … die da?«
    Erst jetzt scheint ihr wieder einzufallen, dass sie eine Pistole bei sich hat. Sie geht zum Du über.
    »Das hat nichts mit dir zu tun«, sagt sie. Sie wiederholt es dreimal, immer leiser, ohne mich anzusehen. Dann sieht sie mir wieder in die Augen.
    »Ich habe Angst.«
    »Wovor?«
    Sie erstickt die Antwort in einem flüchtigen Lächeln und legt den Mantel ans andere Sofaende.
    »Ich habe Michela drei Tage vor ihrem Tod gesehen. Eigentlich wollte sie mich sehen. Wir sind zusammen mittagessen gegangen, unsere Jobs liegen nur ein paar Kilometer auseinander. Irgendetwas stimmte nicht. Sie war genau wie immer, aber … es war, als würde sie mir etwas vorspielen. Sie bemühte sich, normal zu sein. Schließlich hat sie mich gebeten, sie zurück ins Büro zu begleiten. Irgendwann hat sie mich am Arm gefasst und ist zusammengebrochen. Sie meinte, sie habe Angst. Und du seiest der einzige Mensch, der ihr helfen könne. Sie meinte, sie wolle dich anrufen, um mit dir zu reden.«
    »Das hat sie getan.«
    »Ich weiß. Am Tag vor ihrem Tod hat sie mir eine Nachricht geschickt.
Treffe ihn morgen,
stand da. Dann … nichts mehr.«
    »Hat sie dir nicht gesagt, was sie wollte?«
    »Dir?«
    »Wir sind nicht dazu gekommen …«
    Sie fällt mir ins Wort.
    »Ich habe versucht, sie zu fragen, was los ist. Damals, beim Mittagessen. Ihre Antwort war seltsam, aber das passierte bei Michela oft.
Curiosity killed the cat.
Das hat sie mir gesagt.«
    »Ich habe keine Ahnung, weshalb sie mich sehen wollte.«
    Eine halbe Lüge. Doch Arianna hört mir nicht zu. Sie hängt einem quälenden Gedanken nach. Sie sieht mich an, als könnte ich ihr helfen, ihn zu entziffern. Dann stellt sie plötzlich die falsche Frage, und all meine Gewissheiten gehen in Rauch auf.
    »Du warst doch da. Kam dir das alles nicht übertrieben vor? Hattest du nicht den Eindruck, dass … dass da was nicht stimmte?«
    Plötzlich habe ich die Worte meines Vaters im Kopf:
Das sieht nach einer Inszenierung aus, findest du nicht?
    Ich könnte ihr antworten, doch ich weiche lieber aus.
    »Glaub mir, ich wollte nur heil da rauskommen.«
    »Klar, das ist ganz natürlich. Aber hast du das später nicht gedacht? Bist du danach nicht tausendmal in diesen Saal zurückgekehrt, hast die Schüsse gehört, darüber nachgedacht, was passiert ist? Hast du dich nicht gefragt, warum? Und warum so?« Sie hält inne. »Vier Menschen sind gestorben, vor deinen Augen.«
    »Fünf.«
    »Fünf, ja. Fünf. Ich vergesse den Mörder immer. Im Grunde hat er seine Strafe im Augenblick der Tat vollstreckt.«
    Sie trinkt. Diesmal weniger langsam. Beim zweiten Glas nimmt sie ein Beruhigungsmittel. Sie spült es mit einem Schluck hinunter und steckt das Röhrchen in die Tasche zurück.
    »Und, hast du darüber nachgedacht?«
    »Nein«, lüge ich.
    »Das solltest du.«
    »Wieso?«
    »Sie ist auch deinetwegen tot.«
    Ich werde laut.
    »Meinetwegen? Meinetwegen?? Du tauchst hier auf, nachdem ich beinahe hops gegangen wäre, und sagst mir, dass eine, die ich noch nicht einmal kannte, bei einem Vergeltungsschlag irgendeines Mafioso meinetwegen getötet wurde? Weißt du, wer der Mandant deiner Freundin war?«
    Sie schüttelt den Kopf. Dann bricht sie in ein kurzes, hysterisches Lachen aus.
    »Du fragst mich, ob ich weiß, wer Michelas Mandant war. Weißt du es denn? Du behauptest, du hast dir keine einzigeFrage gestellt, und schleppst einen Karton aus dem Keller, der kilometerweit nach Vergangenheit stinkt. Ist es nicht so?«
    Sie streift sich die Jacke über und steht auf. Kritzelt eine Nummer auf den Block neben dem Telefon. Hält sie mir hin. Ihre
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