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Bleakhouse

Bleakhouse

Titel: Bleakhouse
Autoren: Charles Dickens
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fraglichen Prozeß nicht um Sein oder Nichtsein, sondern bloß um die geringfügige Mitgift, die ihm Mylady zubrachte, und er hat eine dunkle Ahnung, daß es ein höchst lächerlicher Zufall ist, wenn der Name Dedlock in einem Prozeß als Partei vorkommt. Er sieht in dem Kanzleigericht etwas, das im Verein mit andern Institutionen von der vollendetsten menschlichen Weisheit ersonnen wurde und in Beziehungen zur ewigen gesetzmäßigen Ordnung steht, wenn auch hie und da die Gerechtigkeit ein wenig nachhinkt und zuweilen Verwirrung zur Folge hat. Beschwerden darüber beizustimmen, hieße vielleicht irgend jemand der niedereren Klassen ermutigen, sich aufzulehnen – wie etwa Wat Tyler bösen Angedenkens.
    »Da einige neue Zeugenaussagen zu den Akten gekommen«, sagt Mr. Tulkinghorn, »und überdies kurz gefaßt sind und ich nach dem etwas weitschweifigen Prinzip verfahre, meine Klienten um Erlaubnis zu bitten, ihnen alle neuen Schritte in Prozessen vorlegen zu dürfen«, – Mr. Tulkinghorn ist ein vorsichtiger Mann und übernimmt nie mehr Verantwortlichkeit, als unbedingt nötig ist – »und da die Herrschaften außerdem nach Paris reisen, so habe ich alles mitgebracht.«
    Sir Leicester geht nämlich ebenfalls nach Paris, wenn auch der Glanzpunkt der Fashionablen die Gnädige ist.
    Mr. Tulkinghorn zieht seine Akten aus der Tasche, bittet um Erlaubnis, sie auf ein goldenes Spielzeug von Tischchen neben der Gnädigen legen zu dürfen, setzt die Brille auf und fängt an, bei dem Schimmer einer Schirmlampe vorzulesen:
    »Kanzleigerichtshof. In Sachen John Jarndyce kontra –«
    Die Gnädige unterbricht ihn mit der Bitte, soviel wie möglich von dem technischen Formwuste wegzulassen.
    Mr. Tulkinghorn blickt über die Brille und fängt tiefer unten von neuem an. Mylady findet es nicht der Mühe wert, ihm ihre Aufmerksamkeit zu schenken. Sir Leicester in seinem Lehnstuhl blickt ins Feuer und scheint ein stolzes Wohlgefallen an den juristischen Wiederholungen und Weitschweifigkeiten, die ihm wie nationale Bollwerke erscheinen, zu finden. Die Hitze ist zufällig groß, wo Mylady sitzt, und der Handschirm ist weniger nützlich als schön; er ist unschätzbar, aber klein. Mylady setzt sich anders und erblickt dabei die Papiere auf dem Tisch, – besieht sie näher, besieht sie noch näher und fragt impulsiv: »Wer hat denn das geschrieben?«
    Mr. Tulkinghorn hält, verwundert über die Lebhaftigkeit und den ungewohnten Ton der Gnädigen, inne.
    »Es ist das, was Sie eine Kanzlistenhandschrift nennen?« fragt sie, blickt ihn wieder in ihrer teilnahmslosen Weise an und spielt mit dem Schirm.
    »Nicht so ganz. Wahrscheinlich hat sie den Kanzleicharakter erst angenommen, als sie schon ausgebildet war. Warum fragen Gnädigste?«
    »Um eine Abwechslung in diese abscheuliche Einförmigkeit zu bringen. Bitte, fahren Sie fort.«
    Mr. Tulkinghorn liest weiter.
    Die Hitze wird größer. Die Gnädige bedeckt das Gesicht mit dem Schirm. Sir Leicester nickt ein, fährt plötzlich auf und ruft:
    »He? Was sagten Sie?«
    »Ich fürchte«, flüstert Mr. Tulkinghorn, der hastig aufgestanden ist, »Lady Dedlock befindet sich nicht wohl.«
    »Ich fühle mich nur schwach«, lispelt Mylady mit weißen Lippen. »Weiter nichts; aber es ist wie die Schwäche des Todes. Sprechen Sie nicht mit mir. Klingeln Sie und lassen Sie mich in mein Zimmer bringen!«
    Mr. Tulkinghorn zieht sich in ein anderes Zimmer zurück. Klingeln schellen, Schritte kommen und gehen, und Stille tritt wieder ein. Endlich bittet der gepuderte Merkur Mr. Tulkinghorn, wieder hereinzukommen.
    »Es geht Mylady jetzt bereits besser«, sagt Sir Leicester und winkt dem Advokaten, Platz zu nehmen, um sich allein vorlesen zu lassen. »Ich bin sehr erschrocken. Ich kann mich nicht erinnern, daß Mylady jemals ohnmächtig geworden wäre. Aber das Wetter ist abscheulich, und sie hat sich auf unserm Gut in Lincolnshire wirklich tödlich gelangweilt.«

3. Kapitel
Die Geschichte einer Jugend
    Es wird mir sehr schwer, den Anfang zu finden, um meinen Teil der Geschichte niederzuschreiben, denn ich weiß, daß ich nicht besonders gescheit bin. Ich wußte das immer. Schon als ganz kleines Mädchen pflegte ich zu meiner Puppe zu sagen, wenn wir allein beisammen waren: Liebe Puppe, ich bin nicht klug, du weißt es selbst und mußt mit mir Geduld haben, Herzchen. Und dann saß sie in einen großen Armstuhl gelehnt mit dem rot und weißen Gesicht und den rosigen Lippen da und starrte mich an –
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