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Bitteres Rot

Bitteres Rot

Titel: Bitteres Rot
Autoren: Bruno Morchio
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in die Kälte des frühen Morgen. Das Fahrrad lehnte an der Wand, neben einem Motorrad. Tilde winkte dem Soldaten zu, klappte den Mantelkragen hoch, schwang sich aufs Rad und fuhr los. Richtung Sestri. Bald würde die Sonne aufgehen, und wenn sie zu Hause wäre, würde ihre Blase angefangen haben zu bluten.

|18| Jasmine
    Seit über fünfzehn Stunden saß ich auf diesem Stuhl, doch an Schlaf war nicht zu denken. Zu hart und zu unbequem. Die verdammte Tür wollte und wollte sich einfach nicht öffnen. Kein Arzt, nicht einmal eine Krankenschwester, niemand kam, um mir zu sagen, wie es stand.
    Warum sollte man mich auch informieren? Die Polizisten, klar, die waren in offiziellem Auftrag hier. Sie hatten das Recht, zu fragen, was es Neues gab, ob die Patientin noch lebte, ob noch Hoffnung bestand. Die Wachposten wechselten alle sechs Stunden. Für sie war die Patientin eine Unbekannte. Sie hatten ihr keinen Unterschlupf gewährt, sie hatten nicht mit ihr geschlafen und dafür bezahlt, sie nicht so geliebt, so wie ich es zu tun glaubte.
    Für die Polizisten war sie nur eine Hure von der Elfenbeinküste, die um ein Haar von einem perversen Sadisten zu Tode gequält worden wäre. Er hatte sie von einer Bande von Menschenhändlern gekauft, so wie man eine aufblasbare Gummipuppe im Sexshop erwirbt. Mit dem Unterschied, dass der Preis exorbitant hoch war. Dafür gab es aber auch den Service, alles zu regeln, wenn das Spielzeug kaputtging. Ganz diskret natürlich, noch dazu ohne Mehrkosten. Sie würden sämtliche Spuren verwischen |19| und den Körper des Opfers entsorgen. Nach einer schwarzen Hure würde sowieso niemand fragen.
    Auch nach nunmehr fünfzehn Stunden hatte sich ihr Zustand nicht verändert. Nach der allerersten unverbindlichen Prognose betrugen die Überlebenschancen unter fünfzig Prozent, das Ausmaß der Hirnschädigung war noch nicht abzusehen.
    Ich hatte ein nach Plastik schmeckendes Schinken-Käse-Brötchen hinuntergeschlungen, dazu eine Flasche Mineralwasser getrunken und vier Becher Espresso aus dem Automaten in mich hineingeschüttet, und ich war dreimal auf der Besuchertoilette gewesen.
    Der mir direkt gegenübersitzende Wachposten trug eine blaue Uniform und schwarze Stiefel. Er war in die ›Gazzetta dello Sport‹ vertieft. Hin und wieder ließ er die Zeitung sinken und warf mir einen mitleidigen Blick zu. Die Polizei hatte den Verdacht, dass noch weitere Bandenmitglieder auf freiem Fuß waren. Womöglich könnte Jasmine wertvolle Informationen über deren Identität geben. Aus diesem Grund wurde sie rund um die Uhr bewacht.
    Unter den Festgenommenen befand sich ein gewisser Antonio, ein kleines Licht, der mir weismachen wollte, er sei ihr Zuhälter. Bei der Vernehmung hatte ich ihm unter dem Tisch meine Beretta in die Weichteile gedrückt. Er war kalkweiß geworden, so weiß wie die Wand in diesem verfluchten Korridor dieses verfluchten Krankenhauses, auf die ich seit Stunden starrte. In dieser quälend langen Zeit waren die Ereignisse der letzten Monate wie ein Film an mir vorübergezogen. Angefangen hatte alles im Oktober, in einem Lokal namens »Lap Dance« in Sampierdarena. Ich machte mir Vorwürfe, sie an diesem Abend da nicht rausgeholt zu haben. Wenn ich sie mitgenommen hätte, wäre ihr diese Tortur erspart geblieben, die panische |20| Angst und die schrecklichen Schmerzen. Und ich würde jetzt nicht hier vor der Intensivstation sitzen.
    Ich sah auf die Uhr. Zwei Uhr nachmittags. Das Krankenhaus wirkte wie ausgestorben, kein Laut war zu hören. Durch die Fenster drang die fahle Februarsonne, die Metallrahmen der Besucherstühle reflektierten die Strahlen, die dann wie Lichtgarben auf den fleckigen Fußboden geworfen wurden. Plötzlich tauchte am Ende des Korridors ein Mann auf. Offensichtlich schon älter, bemühte er sich um eine aufrechte Haltung. Er kam näher. Der Polizist war sofort hellwach, öffnete das Holster, griff nach der Pistole und entsicherte sie. Der kränklich wirkende Mann trug einen dunklen Mantel mit Pelzkragen und hielt einen breitkrempigen Filzhut in der Hand. Der Mantel schlotterte an seinem Körper, was ihn noch abgezehrter erscheinen ließ. Obwohl er leicht hinkte, war sein Schritt fest, fast militärisch. Von dem Polizisten nahm er kaum Notiz, sein Blick war starr auf mich gerichtet.
    Etwa einen Meter vor uns blieb er stehen. »
Buongiorno. Signor Pagano?«
    Unverkennbar ein deutscher Akzent.
    »Ja«, antwortete ich und fuhr mir mit der Hand über das
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