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Bertrams Hotel

Bertrams Hotel

Titel: Bertrams Hotel
Autoren: Agatha Christie
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nicht? Es war in meinen Augen nur ein dummer kleiner Zwischenfall, den ich vergessen wollte. Für mich war die Geschichte erledigt – genauso wie viele andere Dinge, die im Leben keine Rolle spielen.«
    »Und dann«, sagte Vater in gelassenem Ton, »tauchte Michael Gorman eines Tages im November wieder auf und versuchte, Sie zu erpressen.«
    »Unsinn! Wer behauptet denn so etwas?«
    Langsam wanderten Vaters Augen zu der alten Dame, die so ruhig und kerzengerade in ihrem Sessel saß.
    »Sie?« Bess Sedgwick starrte Miss Marple an. »Was können Sie schon davon wissen?«
    Ihre Stimme klang eher neugierig als anklagend.
    »Die Sessel in diesem Hotel haben sehr hohe Rückenlehnen«, sagte Miss Marple. »Äußerst bequeme Lehnen. Eines Morgens saß ich im Schreibzimmer in einem solchen Sessel vor dem Feuer, um mich etwas auszuruhen, ehe ich ausging. Sie kamen herein, um einen Brief zu schreiben. Vermutlich haben Sie nicht gemerkt, dass noch jemand im Zimmer war. Und so wurde ich Zeuge Ihrer Unterhaltung mit diesem Gorman.«
    »Haben Sie etwa zugehört?«
    »Natürlich. Warum auch nicht? Es war ja ein allgemein zugänglicher Raum. Als Sie das Fenster aufstießen und dem Mann da draußen etwas zuriefen, hatte ich keine Ahnung, dass sich daraus ein vertrauliches Gespräch zwischen Ihnen entwickeln würde.«
    Bess starrte sie eine Weile an, dann nickte sie langsam.
    »Nun, das lasse ich gelten«, sagte sie. »Dennoch haben Sie das, was Sie gehört haben, falsch ausgelegt. Micky hat mich nicht erpresst. Er hat vielleicht mit dem Gedanken gespielt, aber ich habe ihn gewarnt, ehe er einen Versuch unternehmen konnte!« Ihre Lippen verzogen sich wieder zu dem breiten, großzügigen Lächeln, das ihr Gesicht so anziehend machte. »Ich habe ihn abgeschreckt.«
    »Ja«, pflichtete ihr Miss Marple bei. »Ich glaube, das ist Ihnen wohl gelungen. Sie drohten, ihn zu erschießen. In der Tat, Sie haben die ganze Sache sehr gut gedeichselt, wenn ich mir diese Bemerkung gestatten darf, ohne unverschämt zu erscheinen.«
    Bess Sedgwick zog amüsiert die Augenbrauen hoch.
    »Aber ich war nicht die Einzige, die Ihre Unterhaltung mit angehört hat«, fuhr Miss Marple fort.
    »Du lieber Himmel! War das ganze Hotel im Zimmer?«
    »Im anderen Sessel saß auch jemand.«
    »Und wer?«
    Miss Marple presste die Lippen zusammen. Sie schaute zu Chefinspektor Davy hinüber, und es war ein fast flehender Blick, der besagte: ›Wenn es unbedingt sein muss, dann sagen Sie es ihr, aber ich kann es nicht…‹
    »Ihre Tochter saß in dem anderen Sessel«, sagte Chefinspektor Davy.
    »Nein!« Heftige Abwehr lag in ihrer Stimme. »O nein. Nicht Elvira! Nun verstehe ich. Sie muss gedacht haben…«
    »Sie war so beeindruckt von dem, was sie hörte, dass sie nach Irland geflogen ist, um nach der Wahrheit zu forschen. Es war nicht schwierig, sie herauszufinden.«
    Abermals sagte Bess Sedgwick bestürzt: »O nein…« Und dann: »Armes Kind!… Sie hat nie eine Frage an mich gestellt, selbst jetzt nicht. Sie hat alles für sich behalten, alles in sich hineingefressen. Wenn sie sich nur ausgesprochen hätte, dann hätte ich ihr alles erklären können – hätte ihr zeigen können, dass es ohne Bedeutung ist.«
    »Darüber hätte sie vielleicht ganz anders gedacht«, sagte Chefinspektor Davy. »Es ist eigentlich komisch, wissen Sie«, fuhr er in einer beinahe geschwätzigen Art fort, wobei er wie ein Farmer aussah, der über sein Vieh und sein Land spricht, »jahrelange Erfahrung hat mich gelehrt, einer Sache nicht zu trauen, wenn sie zu einfach und logisch aussieht. Einfache Kausalzusammenhänge sind oft zu schön, um wahr zu sein. Der Mord neulich abends gehörte auch in diese Kategorie. Das Mädchen sagte, jemand habe auf sie geschossen und sein Ziel verfehlt. Der Portier lief herbei, um sie zu retten, und die zweite Kugel erwischte ihn. Das kann ja alles stimmen. So mag es in den Augen Ihrer Tochter ausgesehen haben. Aber die Dinge können auch anders liegen.
    Sie behaupteten soeben mit ziemlicher Heftigkeit, Lady Sedgwick, dass Ladislaus Malinowski keinen Grund gehabt habe, einen Anschlag auf das Leben Ihrer Tochter zu verüben. Nun, ich möchte Ihnen da Recht geben. Ich glaube, es gab keinen Grund für ihn. Er ist der Typ, der bei einem Streit mit einer Frau vielleicht ein Messer zieht und sie damit ersticht. Aber wahrscheinlich würde er sich nicht in einem Kellervorhof verstecken und kaltblütig warten, um sie zu erschießen. Nehmen wir doch einmal an, er
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