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Bekentnisse eines möblierten Herren

Bekentnisse eines möblierten Herren

Titel: Bekentnisse eines möblierten Herren
Autoren: Oliver Hassencamp
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Ehe? — Ich darf nicht nach dem sentimentalen Geschwätz der Welt gehen, nach der Heuchelei mit vermeintlich traurigen Kinderaugen. Eine Ehe kann man gar nicht zerstören, weil in einen geschlossenen Kreis keiner eindringen kann. Die wirtschaftliche Versorgungsgemeinschaft zu sprengen, ist erlaubt. Stief-Nestwärme bedeutet mehr Verantwortungsgefühl als das teuerste Internat.
    Was er tat, ließ sich mit den Normen der Konvention nicht vereinbaren, denn es war recht. Auch ein Satz von Ortega y Gasset stand im Zusammenhang mit Lilly in seinem Tagebuch.

    Die Sicherheit tötet das Leben.

    Einmal noch kehrte die Vergangenheit zurück.

    18. Februar: Sylvias Beerdigung war erschütternd. Dem Schwachen, der sich selbst richtet, verweigert die Kirche ihre Inszenierung; dem Mörder dagegen, der gerichtet wird, gibt sie jeglichen Trost.
    Daß nicht einmal jetzt eine Instanz für sie da war, ist ihr Schicksal. Ich mache mir Vorwürfe.

    Lilly ging als »Frau Warren ohne Gewerbeschein« in roter Perücke, Samt und Pleureusen; Lukas in Unterhemd mit Ärmeln, Hosenträger mit kurzer Hose, Sandalen, Schnauzbart, geknotetes Taschentuch auf dem Kopf als »Deutscher Spießer in Italien«; Alfredo in hellgrauem Doppelreiher mit weißen Nadelstreifen ging immer noch als Wirtschaftsdelegierter. Zur Zeit weilte er im fernen Rangoon.
    Das Kostümfest, eines der letzten in der Kette des organisierten Frohsinns bot durch die Verwechslung von Erotik mit Humor viel Fleisch in knappen Corsagen, viel Lust nach demselben aus den Ringeltrikots behördlich enthemmter Biedermänner, teure Getränke und laute Musik.
    Eng umschlungen lehnten sie im Gewoge der Fröhlichen.
    Der Platz, der ihnen auf dem Parkett verblieb, wurde durch die Schuhnummern bestimmt, und der Tanz, zu dessen Ausübung sie sich eingefunden hatten, beschränkte sich auf den monotonen Wechsel: Standbein-Spielbein, Spielbein-Standbein.
    »Lukas?«
    »Ja!«
    »Amüsierst du dich?«
    »Wozu, ich bin doch glücklich!«
    Lilly schmiegte sich enger an ihn.
    Eine beschwingte Faust sauste auf Lukas’ Schulter.
    »Ei, wen sieht mein entzündetes Holzauge!«
    Da hopsten Sommersprossen im Ringeltrikot mit einer eingeschnürten Groschenfrivolität in Netzstrümpfen.
    »Ach, Herr Donicke!« sagte Lukas heiterkeitsbeflissen.
    »Aber Lukas! Heute dürfen doch sogar Männer >du< zueinander sagen!«
    »Nein, wird man hier verwöhnt!« fistelte Lukas und kurvte weg.
    »Stimmung!«
    »Das war Donicke?« lachte Lilly. »Wenn der wüßte, daß wir nächste Woche den Plakatpreis abholen…«
    Lukas hielt inne und drückte sie fest an sich.
    »Lilly, du fährst mit?«
    »Natürlich! Ein bißchen habe ich doch auch dazu beigetragen.«
    Er küßte sie. »Ich wollte dich schon immer fragen.«
    Sie nutzten eine Tanzpause, um dem Gedränge zu entrinnen, und setzten sich auf die Treppe zum Foyer. Glücklich miteinander, wie sie waren, fanden sie nicht den Absprung, nach Hause zu gehen. Sie hatten die lärmende Fröhlichkeit gesucht und verblieben darin, denn hinter ihrem Glück stand die Konsequenz, standen die Fragen, die sie sich aus Furcht noch nicht zu stellen wagten. Schweigend saßen sie da, bis die Angst, sich zu verlieren, über das Glück, sich zu besitzen, hinauswuchs. Und weil es das Schicksal nicht gelernt hat, zu lügen, indes die Menschen sich fürchten, griff es zur Ironie und überrumpelte die Kostümierten hier auf der Treppe inmitten des billigen Trubels, indem es ein paar Stufen weiter unten einen angetrunkenen Familienvater ein blutjunges Mädchen küssen ließ.
    »Wie diese Mädchen am Aschermittwoch aussehen werden! Wenn ich mir vorstelle, daß Andrea in ein paar Jahren hier herumtoben wird... Es ist wirklich eine Gefahr.«
    »Da werde ich auch noch ein Wörtchen mitreden.«
    Sie preßte ihre Hände gegen die Schläfen.
    »Hör auf, Lukas! Daran darf ich gar nicht denken! Wie soll das alles werden? Ich habe dem Kind gegenüber die Verantwortung.«
    »So kann man es auch nennen! Was denkst du wohl, was bei der garantiert erstklassigen Erziehung aus ihr wird? Glaubst du, daß sie in ein paar Jahren überhaupt noch nach dir fragt? >Mami, ich will endlich einen eigenen Wagen<, wird sie sagen. Und wehe, du kaufst ihr keinen! Dann sitzt du da mit deinem Opfer.«
    Lilly starrte vor sich hin.
    »Sie ist mein Kind, ich erwarte keinen Dank.«
    Der Familienvater nahm das blutjunge Mädchen auf den Schoß.
    »Wenn du schon von Verantwortung sprichst«, fuhr Lukas fort, »bist du verpflichtet,
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