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Aus Dem Dunkel

Aus Dem Dunkel

Titel: Aus Dem Dunkel
Autoren: Marliss Melton
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Lächeln zu. »Man hat mir gesagt, ich müsste eigentlich tot sein, also geht es mir wahrscheinlich gar nicht so schlecht.«
    Ja, immer noch derselbe skurrile Sinn für Humor. Es war eindeutig Gabe. Sein rauer Bariton bewirkte, dass sich die Härchen in ihrem Nacken aufstellten.
    Er starrte sie mit so offener Faszination an, dass sie spürte, wie sie rot wurde. Gleichzeitig hatte sie das Gefühl, als würde sich ihre Kopfhaut zusammenziehen, denn sie merkte, dass der Arzt nicht übertrieben hatte. »Du erinnerst dich wirklich nicht an mich, oder doch?«
    »Nein.« Er starrte sie an und schüttelte den Kopf. Es schien ihn allerdings auch nicht allzu sehr zu stören. Während sie im Magen ein Gefühl hatte, als würde sie in einem Fahrstuhl zu schnell in die Tiefe sausen, streckte sie die Hand nach Mallory aus und zog sie näher zu sich. »Das ist Mallory«, erklärte sie. »Du bist ihr Dad seit ihrem zehnten Lebensjahr.«
    Gabe wandte sich seiner Tochter zu, und Unsicherheit verdrängte seine Verblüffung. Helen hatte noch niemals den Ausdruck von Unsicherheit auf seinem Gesicht gesehen. »Hi«, sagte er und streckte etwas unbeholfen seine Hand aus.
    Mallory übersah die Hand, beugte sich über das Seitengitter des Betts und umarmte ihn. »Hi Dad«, stieß sie hervor.
    Überrascht warf Gabe Helen einen Hilfe suchenden Blick zu, aber sie war selbst viel zu perplex, um ihm beistehen zu können. Mallory hatte es schon vor langer Zeit aufgegeben, Gabe irgendwelche Zuneigung zu zeigen. Wozu auch? Sie hatte ohnehin nichts damit erreicht. Aber ihr Gefühlsausbruch schien aufrichtig zu sein. Sie drückte ihren Dad mit aller Kraft an sich und schien ihn überhaupt nicht wieder loslassen zu wollen. So sehr, wie er sie ignoriert hatte, so begeistert schien sie, ihn wiederzuhaben.
    Dann richtete sie sich auf und wischte sich eine Träne von der Wange. Voller Anspannung bemerkte Helen, dass Gabes Panik einem Ausdruck der Erwartung gewichen war.
    Er wollte auch sie umarmen. Sie wappnete sich dafür, obwohl sie wusste, dass ihr Körper sie verraten würde. Die alte Anziehungskraft war immer noch da. Vielleicht würde sie nie vergehen.
    Sie trat vor und legte ihm die Arme locker um den Hals. Gabe dagegen zog sie an sich, und sie spürte seine Arme wie riesige Eisenklammern. Er grub seine Nase in ihr feuchtes Haar, atmete ihren Duft ein – sie konnte es direkt neben ihrem Ohr hören. Sein Körper loderte vor Hitze, wie er es immer getan hatte. Er roch nach Seife, Franzbranntwein und verströmte diesen sauberen vertrauten Geruch, von dem ihr ganz schwindelig wurde.
    Bestürzt darüber, wie gut es sich anfühlte, wieder in den Armen gehalten zu werden, befreite Helen sich. »Willkommen zu Hause«, sagte sie, während sie sich zurückzog.
    Auf einmal verstand er, man sah es in seinen Augen. Und plötzlich wirkte er wieder wie der alte Gabe, vorsichtig und verschlossen. »Tja, so ist das.« Mit den Fingern fuhr er sich durch sein muskatnussfarbenes Haar – es war länger, als er es normalerweise trug. »Es wäre sehr viel schöner, wenn ich mich erinnern könnte.«
    »Der Arzt sagt, es sei nur vorübergehend.« Helen wandte sich zur Tür und war dankbar, dass Commander Shafer immer noch dort stand und die drei mit seinen blauen Augen musterte. »Wie lange wird es dauern, bis er sein Gedächtnis wieder zurückhat?«, fragte sie und lud ihn damit ein, an dem Gespräch teilzunehmen.
    Der Commander trat an das Fußende von Gabes Bett. »Das kann niemand mit Bestimmtheit sagen«, erwiderte er und verstärkte damit nur noch ihr Unwohlsein. »Es gibt keinen vorhersehbaren Zeitraum. Wenn es sich tatsächlich nur um eine Posttraumatische Belastungsstörung handelt, an der er leidet, hat die Amnesie erst kürzlich eingesetzt, wahrscheinlich direkt nachdem die Gefahr vorbei war. Warum er auch die beiden Jahre vor seiner Gefangenschaft vergessen hat, ist uns noch ein Rätsel. Das könnte auf einen bleibenden Gedächtnisverlust hindeuten, der vielleicht durch einen Schlag eingetreten ist, den er gegen die Seite seines Kopfs bekommen hat. Er scheint einen Schaden am Stirnlappen erlitten zu haben. Aber je schneller er wieder in seine vertraute Umgebung kommt, desto wahrscheinlicher ist es, dass irgendetwas dort seine Erinnerungen zurückbringt. Sobald das geschieht, werden wir weitersehen. Wir würden ihn gern morgen entlassen.«
    »Morgen schon?«, erwiderte sie. Nein, nein, sie brauchte mehr Zeit, um ihre Zukunft zu planen, um den besten Zeitpunkt
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