Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Augenblick der Ewigkeit - Roman

Titel: Augenblick der Ewigkeit - Roman
Autoren: PeP eBooks
Vom Netzwerk:
klären.
    Einmal eine Bruckner-Symphonie über einen Fernsehsatelliten aus dem Weltall zu dirigieren, war schon immer sein größter Wunsch gewesen, und Krausnik hatte ihm zu seinem Geburtstag diesen Wunsch erfüllt. Damit konnte er endlich seinen Kritikern beweisen, daß solche Konzerte möglich waren, wenn nicht gar erstrebenswert. Nie mehr mußte er beschwerliche Reisen unternehmen und zu den internationalen Spitzenorchestern jetten, die statt dessen via Satellit ins eigene Studio kämen, von wo aus er vice versa seinen Taktstock schwingen konnte– weltweit. Viele beneideten ihn um seine Kreativität und Willenskraft, mit der er stets erreichte, was er sich vorgenommen hatte. Doch nach den Querelen in den letzten Tagen fühlte er sich schlapp wie schon lange nicht mehr, unendlich müde und ausgelaugt. Aber das mußte er vor ihr verheimlichen, sonst hätte Maria ihn gezwungen, das Konzert abzusagen.
    Er blickte aus dem Fenster. Die untergehende Sonne stand nur noch eine Handbreit über dem Horizont, und in den Straßenschluchten von Manhattan leuchtete ein roter Abendhimmel, vor dem sich die illuminierte Silhouette der Skyline abhob wie eine Musicalkulisse. Irgendwo in diesem Gewirr von Wolkenkratzern mußte Joachim wohnen. Ihm blieb nicht mehr viel Zeit, sich endlich mit ihm auszusöhnen. Er hatte schon vor Jahren eine Agentur beauftragt, nach seinem Sohn zu fahnden, der Anfang der siebziger Jahre unter dem Mädchennamen seiner Mutter Gudrun Thennbergen in New York untergetaucht war, als die internationale Klatschpresse wochenlang über den Skandal im Hause Herzog berichtet hatte.
    » Ich wünschte mir, Joachim würde auch zu meinem Geburtstag kommen.«
    » Und warum triffst du dich dann nicht mit ihm, solange wir in New York sind? Es ist ganz einfach. Du brauchst doch bloß den Hörer abzunehmen und ihn anzurufen.«
    Er lehnte sich zurück und zog den Anschnallgurt fester. Das Vibrieren der Rotorblätter in der Passagierkabine übertrug sich auf seinen Körper. Im Metrum der Teppichklopfgeräusche des Helikoptermotors glaubte er Musikfetzen der Bruckner-Symphonie zu hören, die am Samstag auf dem Programm stand und die ihm schon während des ganzen Flugs in den Ohren klang. Er schloß die Augen, um sich die Struktur des Adagios, das er am nächsten Morgen mit den Philharmonikern proben wollte, noch einmal zu vergegenwärtigen, als Maria erneut anfing. » Wohnt er nicht irgendwo da unten, in Brooklyn oder Queens?«
    Der Ohrwurm verschwand so plötzlich, wie er aufgetaucht war. » Hörst du mir eigentlich zu?«
    Er nahm Marias Hand und drückte sie. » Ja, Liebes, ich höre dir zu.«
    » Warum antwortest du dann nicht?«
    » Ich war in Gedanken. Ich kann ihn nicht anrufen– ausgeschlossen. Es ist an Joachim, den ersten Schritt zu tun!«
    Er hatte es mehrmals versucht. Aber Joachim hatte seine Briefe ungeöffnet zurückgeschickt. Er hatte sich bemüht, hatte alle Kritiken gelesen, die über seine Konzerte in New York veröffentlicht worden waren, und sich sogar seine Platten besorgen lassen. Nicht daß er die atonale Musik gemocht hätte. Er fand sie gräßlich, eine Zumutung für seine Ohren. Sein Musikgeschmack war über die Klassische Moderne nie hinausgekommen.
    Das Lufttaxi schwenkte über dem East River nach Süden und flog in Richtung Downtown Heliport. » Joachim ist genauso stur wie du. Einer von euch beiden muß den Anfang machen.«
    » Warum ich, warum nicht er?«
    » Sagtest du nicht gerade, wie sehr du dir wünschtest, daß er zu deinem Geburtstag käme?« Maria fuhr sich mit beiden Händen durch die Haare und holte einen Spiegel aus ihrer Handtasche. Aus den Augenwinkeln konnte er beobachten, wie sie die Fingerspitze in den Mund steckte und sich mit der angefeuchteten Fingerkuppe über die Augenbrauen strich. Eine unendliche Zärtlichkeit überkam ihn. Er konnte sich nicht vorstellen, wie sein Leben ohne sie verlaufen wäre. Auf ihrem Gesicht lag jener rätselhafte unschuldige Ausdruck, den manche Maler in der Renaissance ihren Madonnen verliehen haben. Dabei konnte sie starrköpfig und eigensinnig sein bis zur Rücksichtslosigkeit. Sie hatte ihn im Sturm erobert, als sie in Luzern in seinen Sommerworkshop hereinschneite, aufs Pult kletterte und drauflos dirigierte. Nach zahllosen flüchtigen Affären hatte er sich von Gudrun scheiden lassen und hatte sie geheiratet– seine allerletzte große Liebe. Sie stritten häufig, vielleicht war der enorme Altersunterschied schuld daran, schieden manchmal
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher