Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Aufstand der Alten

Aufstand der Alten

Titel: Aufstand der Alten
Autoren: Brian W. Aldiss
Vom Netzwerk:
Tollheit.«
    Auf der Bühne der Welt wurde es rasch dunkler. Das Durchschnittsalter der Bevölkerung war über die Siebzig angestiegen. Mit jedem Jahr nahm es weiter zu. Noch ein paar Jahre ... Eine Gefühlsregung, die einem plötzlichen Ausbruch von Heiterkeit nicht unähnlich war, erfüllte Graubart, eine Art Verwunderung, daß ausgerechnet er Zeuge des Weltunterganges sein sollte. Nein: des Unterganges der Menschheit. Die Welt würde weiterleben. Der Mensch mochte aussterben, aber die Erde blieb davon unberührt.
    Sie gingen ins Haus. Ein großer Koffer aus gelbem Schweinsleder – unpassendes Überbleibsel aus einer dahingegangenen Welt – stand auf der trockenen Seite des Hausganges.
    Graubart ging durch die Räume und ließ seinen flüchtig suchenden Blick über die Möbel gehen, die sie aus anderen Häusern zusammengeholt hatten, über Marthas unbeholfen an die Wand gemalten Kalender mit der Jahreszahl 2029, über den Farn, den sie in einem alten Topf gezogen hatte. Elf Jahre, seit sie mit Pitt von Cowley hierhergekommen waren.
    »Gehen wir«, sagte er, dann fügte er hinzu: »Macht es dir etwas aus, das Haus hier aufzugeben, Martha?«
    »Ich weiß nicht, auf was ich mich da einlasse, Algy. Am besten, du nimmst mich einfach mit und fragst nicht lange.«
    Er zögerte. »Hier gibt es wenigstens ein gewisses Maß an Sicherheit ...«
    »Keine Schwäche jetzt, Algy. Soll ich Charley Samuels fragen, ob er mit uns gehen will? Er würde uns am meisten vermissen. Er sollte mitkommen.«
    Er nickte widerwillig, und sie ging. Er stand da, starrte auf seine Füße und fühlte das Gewicht der Vergangenheit. Ja, Charley sollte mitkommen.
    Ein Holzscheit glimmte noch im Kamin, aber im Hausgang und auf der Treppe hing der Geruch von Feuchtigkeit so schwer wie dicker Nebel. Sie würden dieses Haus verlassen, und bald würde es wie der Leichnam eines Menschen verwesen und zerfallen.
    Er konnte verstehen, warum die Leute ihre eigenen Häuser angezündet hatten. Feuer war sauber, Sauberkeit ein Prinzip, das der Mensch sonst bereits verloren hatte.
    Er ging an die Tür und sah Martha über den eingefallenen Gartenzaun steigen, der ihren Garten vom Nachbargrundstück trennte. Hinter ihr kam Charley Samuels, einen grauen Wollschal um Kopf und Hals gewickelt, den Mantel zugeknöpft, einen Segeltuchsack auf dem Rücken und seinen Fuchs Isaac an der Leine. Er kam auf Graubart zu und drückte ihm die Hand. Seine Augen waren wässerig.
    Ängstlich darauf bedacht, eine sentimentale Szene zu vermeiden, sagte Graubart leichthin: »Wir brauchen dich, Charley, damit du uns Predigten hältst.«
    Aber Charley schüttelte ihm die Hand nur noch heftiger.
    »Ich war gerade beim Packen. Ich bin dein Mann, Graubart. Ich habe gesehen, wie dieser kriminelle Sünder Mole die arme alte Betty von der Brücke aus erschossen hat. Sein Tag wird kommen! In jenem Augenblick habe ich gelobt, daß ich nicht länger in den Zelten der Ungerechten wohnen werde.«
    Graubart dachte an Betty, die sich vor ein paar Stunden noch am Ofen der Wachstube gewärmt hatte; inzwischen mußte ihr Schmorfleisch verbrannt sein.
    Der Fuchs winselte und zerrte ungeduldig an der Leine.
    »Isaac scheint ganz deiner Meinung zu sein«, sagte Graubart und zwang ein Lächeln auf seine Lippen. »Gehen wir, solange die anderen abgelenkt sind.« Er nahm die Koffer und ging hinaus. Mit Absicht ließ er die Haustür offen. Martha schloß sie hinter ihm. Dann gingen sie nach Osten aus dem Dorf und über die Felder, parallel zum Flußufer. Graubart trug den Koffer auf der Schulter und schlug ein scharfes Tempo an. Charley sollte von Anfang an sehen, daß dies mehr war als eine Flucht; daß es, wie jede Flucht, zugleich ein neuer Anfang war, eine neue Probe. Erst als er voraus zwei Gestalten erblickte, die dem gleichen Dickicht zustrebten wie er, blieb er abrupt stehen.
    Die Überraschung war beiderseitig. Die Gestalten gehörten einem Mann und einer Frau. Der Mann kniff seine Augen zwischen Brauen und Wangen zusammen, um besser sehen zu können, wer ihm da folgte. Auch das Erkennen war beiderseitig.
    »Wohin willst du, Towin, alter Spitzbube?« fragte Graubart, als er die beiden eingeholt hatte. Er musterte den Alten, der sich auf seinen Knüppel stützte und in ein monströses Kleidungsstück aus zusammengenähten Tierfellen, Deckenteilen und Fetzen verschiedener Mäntel gehüllt war, und dann betrachtete er Towins Frau, Becky. Becky Thomas mochte etwa Mitte der Siebzig sein und war damit gute
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher