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Auf dem Weg nach Santiago

Auf dem Weg nach Santiago

Titel: Auf dem Weg nach Santiago
Autoren: Jean-Noel Pierre / Gurgand Barret
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anklopft und
du nicht aufmachst !« Man fühlte sich so schuldig, daß
man nicht mehr schlafen konnte.
    Dreißig Jahre sind seither vergangen,
und meine Entrüstung schnürt mir manchmal noch die Kehle zu.
     
    Gemeinsames Wegtagebuch, Montag, 30. Mai.
    Regen und Ermüdung, ein saumäßiger Tag.
Wir beschließen, in Rabanal del Camino zu übernachten. Bernés empfiehlt, sich
an das Pfarrhaus zu wenden. Gute Gelegenheit, dem spanischen Klerus
näherzukommen.
    Wir erreichen Rabanal am Abend. Das
Dorf schwimmt in der Jauche wie eine tortilla im Olivenöl. Schließlich
machen wir Don Miguel ausfindig, den Pfarrer. Eine Art Kellerassel,
schmutzstarrend und phlegmatisch. »Ihr könnt in der alten Schule schlafen«,
sagt er, wobei er sich bereits wieder seinem Loch zuwendet. »Holt den Schlüssel
beim présidente .« Der présidente ist
nicht zu Hause. Er ist draußen auf dem Feld, bei seinen Schafen.
    Wir warten auf seine Rückkehr.
Inzwischen begeben wir uns in die cantina, ein anderes finsteres Loch, dessen
Wirtin der Ma Dalton in Lucky Luke ähnlich sieht. Sie serviert uns eine
undefinierbare Suppe und einen Eierkuchen, hart wie Beton. Gassenjungen und
alte Leute kommen heran. Sie beobachten uns aus nächster Nähe. Wir fragen Ma
Dalton, ob sie Zimmer vermiete. Nein. Betten? Nein. Ob sie wisse, wo wir
übernachten könnten? Nein. Keine Scheune, kein Schuppen? Nein. Und können Sie
uns vielleicht ein Stück Blechdach oder eine verlassene Baracke nennen, Madame?
Wir brauchen wirklich nicht viel, wissen Sie. Nein.
    Das nächste Dorf, Foncebadón — 1439
Meter hoch, der höchste Punkt des Weges, auch das noch! — , ist sechs Kilometer entfernt.
    Sechs Kilometer zuviel. Die Nacht
bricht herein. Es ist kalt. Es wird regnen. Ab und zu schauen wir nach, ob der presidente noch nicht zurückgekehrt ist. Ein Bub wirft mit Steinen nach uns.
    Endlich kommt der presidente. Ein derber Dreißiger, der eine Wildente sicher nicht für ein Gotteslamm hält.
Er braucht eine kurze Zeit, um seine Herde zu ordnen. Er hört uns an und
erwidert, die alte Schule sei verkauft. Don Miguel wisse das sehr gut; es sei
doch wohl allzu einfach, sich der Leute zu entledigen, indem man sie zu ihm
schicke. Auf jeden Fall seien die Pilger eine Angelegenheit der Kirche. Er
könne da nichts machen, vor allem nicht jetzt vor den Wahlen. Damit dreht er
sich wieder um zu seinen Schafen.
    Wir sind machtlos. Die Nacht hat sich
sachte auf das schmutzigdunkle Dorf gesenkt. Ringsum heulen Hunde um die Wette.
Ohne jede Scheu machen wir uns jetzt an die Lehrerin heran, als ob die Tatsache,
daß sie am Ende ihrer Studien zwei Tage in Paris verbrachte, sie zwänge, sich
unser anzunehmen.
    Wir hatten recht: Es gelingt ihr, den presidente zu überreden. Sie sagt, er gestatte uns, die alte Schule zu benutzen — genauer,
den Platz außerhalb der Schule. Wir können unsere Schlafsäcke unter der Treppe
ausbreiten, dort, wo der Schlamm noch nicht alles überschwemmt hat. Wenigstens
seien wir im Windschatten, fügt sie hinzu. Wir zerfließen von Dankbarkeit. Ja,
wirklich, wir sind vor Wind geschützt.
    Wir kehren zur cantina zurück,
um unsere Mahlzeit zu bezahlen. Pa und Ma Dalton beurteilen uns nun anscheinend
richtig: Sie bieten zwei Betten — aus denen sie wahrscheinlich irgendeinen
Großvater hinausbefördert haben — zum Hoteltarif an. Wir danken noch einmal,
wahre Weltmeister des muchasgracias. Und noch in der Nacht, als wir in
den Regen hinausstürzen müssen, um den mörderischen Eierkuchen zu erbrechen,
danken wir den Hunden, daß sie uns nicht zu große Angst einjagen.
    Menschenwürde gleich null. Was ist uns
denn da zugestoßen, uns, die wir eher gewohnt sind, in unserem Selbstwert
geschmeichelt zu werden? Vor unserem Aufbruch von Vézelay haben wir gern
erklärt, man müsse bei einer solchen Reise gegenwärtig sein, als anderer
zurückzukommen. Hat nun dieser Prozeß eingesetzt? Als wir am anderen Morgen zum
Paß von Foncebadön hinaufsteigen, suchen wir in uns, ob nicht irgendwo etwas
gebrochen ist, so, wie man sich nach einem Unfall abtastet.
     
    Tagebuch J.-N. Gurgand
    Villafranca del Bierzo, Mittwoch, 1
.Juni. — Einst erlangten diejenigen Pilger, die zu krank oder zu geschwächt
waren, um weiterzukönnen, hier die gleichen Ablässe, die sie bei der Ankunft in
Compostela bekommen hätten, indem sie die Tür der kleinen Sankt-Jakobs-Kirche
berührten. Ein einzigartiges Vorrecht — ich hätte es beinahe nötig gehabt. Eine
Vergiftung und eine heftige
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