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Angelglass (German Edition)

Angelglass (German Edition)

Titel: Angelglass (German Edition)
Autoren: David Barnett
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hineingebracht«, sagt er und fügt dann mit einem Blick auf mich hinzu: »Allerdings schlage ich vor, dass Ihr das Beste bis zum Schluss aufhebt. Der Kaiser schätzt dramatische Effekte.«
    Lang öffnet die schwere Tür und führt uns in einen dunklen Raum, der nur von ein paar Strahlen des herbstlichen Lichts erhellt wird. Sie dringen durch Spalten in den Vorhängen vor den schmalen Fenstern herein, die vom Fußboden bis zur gut zehn Meter hohen Decke reichen. Kleine Staubpartikel tanzen und wirbeln in den blassgelben Lichtstreifen umher, um sich sogleich in den feinen Fäden Tausender Spinnweben zu verfangen, die den düsteren Raum kreuz und quer überspannen. Wie Fenster, die den Blick in einen tiefen Abgrund freigeben, bedecken dunkle Bilder, deren Motive fast ausschließlich aus schwarzer Farbe komponiert zu sein scheinen, die Wände. Schwere Staubschichten haben sich auf Tische, Stühle und Schreibpulte gelegt. Unsere Füße rascheln durch das am Boden ausgestreute Stroh, zwischen dem ich Basilikum und Majoran, Schlüsselblumen und Salbei sowie Fenchel und Minze erkennen kann.
    Ein Seufzer wie das ersterbende Rasseln einer verdammten Seele lenkt unsere Blicke zur Mitte des Raums, wo ein hoher Stuhl, einem Thron ähnelnd, in einer Lichtpfütze badet, die durch einen Vorhangspalt hereindringt. In weitaus mehr Pelze und Gewänder eingehüllt, als das milde Wetter vermuten ließe, hockt ein Mann auf diesem Stuhl und hat den Kopf erschöpft in seine rechte, von Ringen geschmückte Hand gestützt. Noch nie zuvor habe ich solch ein melancholisches Gesicht gesehen. Er ignoriert – oder vielmehr übersieht – unser Eintreten und starrt mit dunklen, von schweren Lidern bedeckten Augen vor sich hin. Seine Wangen hängen herab und sein Mund hat sich unter dem vollen Bart zu einer Art dauerhafter Missbilligung verzerrt. Ein paar Schritte von ihm entfernt hockt ein Künstler in einer farbverschmierten weißen Schürze, die im Widerspruch zu seinem schwarzen Gehrock, seinem kegelförmigen Hut und seiner schäbig weißen Halskrause steht, vor einer Leinwand und malt. Von unserem Erscheinen in seiner Konzentration unterbrochen, blickt er mit strengem Gesicht gen Himmel.
    »Gott verdammt«, flucht er auf Italienisch und schleudert seinen Pinsel wütend zu Boden. Dann scheint er sich zu besinnen und sagt in mühsamem Deutsch: »Kammerherr! Wie oft schon habe ich darum gebeten, nicht gestört zu werden, wenn ich mit dem Porträt seiner Exzellenz beschäftigt bin? Der Kaiser besteht darauf, dass ich nur in diesem Raum an der Vollendung des Werks arbeiten kann, und dieser Stuhl steht allenfalls eine Stunde pro Tag im Sonnenlicht.«
    Wie um Beschwichtigung bemüht, verschränkt Lang die Hände. Sein stechender Blick hingegen lässt keine Reue erkennen. »Verzeiht die Unterbrechung, Meister Arcimboldo«, sagt er, »doch der Kaiser hat den Emissären des Schahs von Persien eine Audienz versprochen. Eine Staatsangelegenheit, die schlichtweg nicht warten kann.«
    Der mürrische Maler seufzt und wirft ein Tuch über sein halbvollendetes Werk. Dennoch gelingt es mir, einen Blick darauf zu werfen. Wenn dies ein Porträt des Kaisers sein soll, so fürchte ich, dass es der Künstler mit seinem Gewerbe nicht weit bringen wird. Er hat Rudolf als Karikatur wiedergegeben; eine Birne als Nase verwendet, Kirschen für die Lippen und rosige Äpfel für die Wangen des Kaisers benutzt. Ich richte meinen Blick auf Rudolf, um zu prüfen, ob es bei aller Komik überhaupt eine Ähnlichkeit gibt. Er hat sich seit unserer Ankunft nicht gerührt, und ich bezweifle, dass er sie überhaupt bemerkt hat. Als der Künstler unter gemurmelten Verwünschungen zusammenpackt und verschwindet, wendet sich Percy an Lang. »Könnten wir hier vielleicht ein wenig mehr Licht haben, Kammerherr?«, flüstert er.
    Lang schüttelt betrübt den Kopf. »Ich fürchte, nein. Dies ist der Raum, in dem seine geliebte Katharina starb, und seine Melancholie ist so ausgeprägt, dass er den Raum unbedingt so belassen will, wie er seit dem Tag ihres Dahinscheidens gewesen ist.«
    »Seine Gemahlin?«, flüstert Percy.
    »Seine Exzellenz hat niemanden zur Frau genommen, noch steht dies zu erwarten«, erwidert Lang in gedämpftem Tonfall. »Katharina Strada war seine bevorzugte Konkubine. Sie hat ihm sechs Bastarde geboren und starb bei der Geburt des letzten. Ich fürchte, es hat ihm das Herz gebrochen.«
    »Und welche Sprachen spricht Seine Exzellenz?«, fragt Percy. »Englisch
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