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Anastasija 08 - Im Antlitz des Todes

Anastasija 08 - Im Antlitz des Todes

Titel: Anastasija 08 - Im Antlitz des Todes
Autoren: Alexandra Marinina
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weinen aufhören. Erst zu Hause, als sie in ihr Zimmer kam, begriff sie, dass der Albtraum vorüber war, und beruhigte sich. Das Sitzen auf dem unbequemen Stuhl in der Krankenhaushalle hatte ihr sehr wehgetan, weil die Operationsnaht noch ganz frisch war. Und sie hatte schreckliche Angst gehabt, dass ihre Eltern vergessen hatten, sie abzuholen, und dass sie nun bis zum nächsten Tag so würde sitzen müssen. Das Mädchen war nach der Operation noch sehr schwach und geriet nach dem Erlebten in eine regelrechte Nervenkrise. Es wollte nicht essen und brach ständig in Tränen aus. Anna hielt es nicht mehr aus und beschloss, ihrem Mann zum ersten Mal alles zu sagen, was sie über seinen geliebten Chef und Freund dachte.
    »Er gibt überhaupt nichts auf dich, er behandelt dich wie Dreck, und du lächelst dankbar und kriechst ihm in den Hintern! Schämst du dich eigentlich nicht? Hast du überhaupt keinen Stolz? Warum lässt du dir das alles von ihm gefallen?«
    Gena versuchte seiner Frau zu erklären, dass man Strelnikow nicht böse sein durfte, weil er nur an die Sache dachte und dabei das Persönliche vergaß.
    »Wolodja ist mein Freund, und ich bin überzeugt, dass er mich genauso achtet wie ich ihn. Wenn er meinen Dienstwagen genommen hat, dann hat er ihn wirklich dringend gebraucht, sonst hätte er das nicht getan.«
    »Hast du ihn etwa nicht dringend gebraucht?«, ereiferte sich Anna. »Das kranke Kind sitzt nach einer Operation in der kalten Krankenhaushalle und stirbt vor Angst und Schmerzen – ist dir das völlig egal? Wenn es Strelnikows Kind gewesen wäre, hätte er zwei Dienstwagen genommen, um zum Krankenhaus zu fahren. Den einen hätte er selbst gesteuert, und der andere hätte hinter ihm her fahren müssen, damit er im Fall einer Panne sofort hätte umsteigen können.«
    Der Streit wurde immer heftiger, es hagelte gegenseitige Beleidigungen, und in diesem Konflikt blieben die Leontjews noch lange Zeit gefangen.
    Der zweite denkwürdige Zwischenfall ereignete sich bei den Tomtschaks. An Larissa wandte sich eine gute alte Freundin, deren Sohn an der Hochschule studierte, der Strelnikow als Rektor vorstand. Mit dem Sohn hatte es Unannehmlichkeiten gegeben, er war zusammen mit zwei Freunden wegen Rowdytums festgenommen worden. Im Grunde hatte nur einer von den dreien Streit angefangen, er war mit einem Straßenverkäufer aneinander geraten, der nicht bereit war, ihm auf einen großen Schein herauszugeben; es war zu einer lautstarken Auseinandersetzung gekommen, und im Nu hatten die beiden sich in der Wolle gehabt. Just im selben Moment war die Miliz aufgetaucht. Sie nahm die drei Jungs mit aufs Revier, und es stellte sich heraus, dass sie alle nicht ganz nüchtern waren. Im Grunde war das verzeihlich, der Randalierer hatte an diesem Tag Geburtstag, natürlich hatte man ein wenig gefeiert. Aber der Test hatte ergeben, dass sie Alkohol im Blut hatten, und so war der Tatbestand einer in angetrunkenem Zustand begangenen Ordnungswidrigkeit erfüllt. Die Miliz meldete den Vorfall der Hochschule, an der der Sohn von Larissas Freundin studierte, und Strelnikow, der ein glühender Verfechter der Studiendisziplin war, ordnete die Exmatrikulation des Studenten an. Alles wäre halb so schlimm gewesen, wenn das im Mai passiert wäre, dann hätte der Junge vielleicht ein Studium an einer anderen Hochschule beginnen können. Aber der Vorfall ereignete sich im März, als gerade die Einberufungen zur Armee bevorstanden, und ein exmatrikulierter Student war natürlich von diesen Einberufungen betroffen. Die Mutter geriet in Panik. Was, wenn man ihren Sohn nach Tschetschenien schicken würde? Das hätte sie nicht überlebt. Die Exmatrikulation musste um jeden Preis verhindert werden. Die Maßnahme gegen ihren Sohn war stark überzogen, er hatte schließlich kein Verbrechen begangen. Es verging kein einziger Monat, ohne dass eine ähnliche Meldung der Miliz bei der Hochschule einging, deshalb wurde doch niemand exmatrikuliert.
    Larissa versprach ihrer Freundin, mit ihrem Mann zu reden. Tomtschak zeigte Verständnis für die Lage der unglücklichen Frau, die er ebenfalls seit langer Zeit kannte, und ging zu Strelnikow. Der war gerade stark beschäftigt, wie immer, deshalb hörte er seinen Stellvertreter nicht einmal bis zum Ende an.
    »Gut«, sagte er, während er die nächste Telefonnummer wählte und in Gedanken schon bei dem bevorstehenden Gespräch war, »ich werde anordnen, dass man die Exmatrikulation rückgängig machte.
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