Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Als Oma noch mit Kohlen heizte

Als Oma noch mit Kohlen heizte

Titel: Als Oma noch mit Kohlen heizte
Autoren: Willi Faehrmann
Vom Netzwerk:
antwortete Tilla.
    „Bist du schon vierzehn?“
    „Warum fragst du das, Hein?“
    „Weil’s ab vierzehn hier ‘nen Groschen kostet.“
    „Ich bin noch nicht vierzehn und ich will keinen Groschen und auch keine zwei Pfennige bezahlen.“
    „Aber über die Brücke willst du gehen!“, schimpfte Hein. „So weit kommt das noch. Hier zahlt jeder, ob ich ihn kenne oder nicht. Wo kämen wir denn hin ...“
    „Aber ohne mich gäbe es die Brücke gar nicht, Hein.“
    „Gäbe es die Brücke gar nicht?“, wiederholte Hein verwundert.
    „Ganz bestimmt nicht. Frag den Christian. Der kann’s dir auch sagen.“
    „Der Christian steht drüben am anderen Ufer an der Kasse. Ich gehe hier nicht von meinem Posten weg. Es könnte ja einer kommen und rüberwollen.“
    Er lehnte sich wieder gegen den Eisblock. „Außerdem“, knurrte er, „ich habe alle Tage hier mitgearbeitet. Ich wüsste nicht, dass ich ein Mädchen gesehen hätte, das uns geholfen hat. War ja schließlich auch keine Arbeit für Kinder.“
    „Aber ich hatte die Idee mit der Brücke, Hein. Ich hab’s dem Christian eingeblasen.“
    „Hat er uns nichts von mitgeteilt, dein Christian. Überhaupt, was ist das schon, eine Idee? Kannst du was vorzeigen? So einen Sack voll Ideen? Oder nur ein einziges Pfund Idee oder so?“
    „Ideen wachsen im Kopf“, sagte Tilla.
    Hein hob Tillas blonden Zopf ein wenig an und neckte sie: „Nichts zu sehen von Ideen, keine Spur davon. Und überhaupt, für deine Ideen kann ich mir nichts kaufen.“
    „Lässt du mich nun rüber oder nicht, Hein?“
    „Sicher lasse ich dich nach drüben. Ich lasse hier jedes Kind auf die Brücke, das mir zwei Pfennige zahlt.“
    Es ging Tilla gar nicht mehr um die zwei Pfennige allein. Aber dass der Hein ihr die Ideen schlechtmachen wollte, das ging ihr gegen den Strich. Lehrer Pannbeckers hatte es oft und oft gesagt: „Ideen sind wichtig für die Menschheit.“ Und das glaubte Tilla dem Lehrer: „Ohne Ideen, da säßest du jetzt wahrscheinlich im Kuhstall vom Leyschen Gut. Keinen Pfennig hättest du ohne meine Ideen in der Tasche“, maulte Tilla.
    „Verschwinde, du Rotznase. Auch noch frech werden, wie? Verschwinde schnell, sonst mach ich dir Beine.“
    Tilla lief wütend ein Stück stromauf am Ufer entlang. „Der Christian hätte mich bestimmt ohne Geld durchgelassen“, versuchte sie sich zu trösten.
    Aber Christian war weit weg. Man konnte ihn am anderen Ufer in der klaren Winterluft klein und dünn stehen sehen.

In Lebensgefahr
    Als Tilla schon eine Strecke weit von der Brücke entfernt war, da fiel ihr mit einem Male der Schmied Peerenbosch ein. Der war vor Jahren, als der Rhein auch zugefroren war, quer über das Eis geklettert. Keine Brücke hatte es damals gegeben. Und doch, er war heil hinübergekommen.
    Sie schaute sich das Eisfeld genau an. Die Schollen hatten sich wirr ineinander verkeilt, ein Drüber und Drunter, ein Hoch und Tief. Was dem Schmied Peerenbosch gelungen war, das musste sie doch auch schaffen? Sie würde es dem Hein schon zeigen.
    Ohne weiter zu überlegen, begann Tilla in das Eis hineinzusteigen. Es ging gar nicht so übel und sie kam schneller vorwärts, als sie es vermutet hatte. Um die dicken und scharfkantigen Eisbrocken kletterte sie herum. Einige Male verschwand sie in so tiefen Eistälern, dass sie die Ufer und Dämme gar nicht mehr sehen konnte. Dann wieder kroch sie auf allen vieren schräg stehende Eisflächen empor und hielt Ausschau, damit sie die Richtung nicht verlor.
    Sie hatte schon ein beträchtliches Stück des Weges hinter sich gebracht, als sie die Kälte zu spüren begann. Es kam ihr vor, als ob das Eis die Luft noch eisiger machte. Ihre Nasenspitze und ihre Hände begannen zu schmerzen und es fiel ihr schwer, die Finger zu bewegen.
    Allmählich begriff sie, in welche Gefahr sie sich begeben hatte. Lehrer Pannbeckers’ Geschichte von Stina Basendongk schoss ihr durch den Sinn. Sie fragte sich, ob sie selbst auch im Eise verloren gehen könne und ob der Holzschuhmacher Theo Peters in dunklen Nächten ihre Stimme hören würde. Die Angst verdoppelte ihre Kräfte. Sie erreichte die Kante einer ungewöhnlich großen, schräg stehenden Eisplatte. Sie schaute sich um. Mitten auf dem breiten Strom befand sie sich.
    „Zurück ist es genauso weit und schwierig wie vorwärts“, sprach sie leise zu sich. „Und drüben steht der Christian.“
    Die glattflächige Eisscholle, wohl an die vierzig Meter lang, ließ sie zu dem Entschluss kommen:
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher