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Alles hat seine Zeit

Titel: Alles hat seine Zeit
Autoren: Ennio Flaiano
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schließlich nicht bei Meilensteinen, verteilen sich nicht gleichmäßig einem Weg entlang, auch wenn sie an militärische
Disziplin gewöhnt sind. Man findet vielleicht in einem Graben drei beisammen wie in geheimnisvollem Gespräch, und dann legt man zehn Kilometer zurück und begegnet keinem einzigen. Es kam mir eher so vor, als sei ich gar nicht viel über die Höhe des Flusses hinaufgestiegen. Vielleicht etwa hundert Meter. Das Hochland erhob sich noch in deutlichen Umrissen vor mir, obschon das dichte Gehölz mir häufig die Sicht darauf nahm.
    Ich ging weiter: Ich wusste, dass man Abkürzungen eben nimmt, wie sie sind, und nicht über sie diskutiert. Unvermutet würde ich auf dem Rand des Hochlands herauskommen, in der Nähe einer dampfenden Feldküche, vielleicht auf einem Lastwagenparkplatz: So sind Abkürzungen nun einmal.
    Ich schlug mir also den Gedanken, dass ich mich verirrt haben könnte, aus dem Sinn und ging weiter. Ich war nicht müde, im Gegenteil; dass ich noch nichts gegessen hatte, machte meine Beine locker und meinen Körper leicht, und im Tornister waren nur wenige Dinge. Mich störte allerdings die schwere Pistole an der Seite, und ich war versucht, sie in den Tornister zu stecken; aber ich war allein und zudem in einem unbekannten Waldgestrüpp, von tückischen Gefahren umgeben, die ich mir nicht vorstellen konnte und wollte, um mir diesen Ausflug in die vier Tage Freiheit
nicht zu verderben. Dazu kam noch der Verdruss mit diesem Zahn, der sich dann und wann bemerkbar machte, dumpf und wie von fern, und der mich immer wieder aufschreien ließ. Ich hatte nur noch drei Tabletten.
    Und wenn mir anstatt eines Chamäleons eine Hyäne begegnete, die schon früh unterwegs ist? Vielleicht ist sie es überdrüssig, Leichen zu suchen, und ist zu einem Kompromiss mit ihrem Geschmack bereit? Mehr als vor der Hyäne selbst schaudert man vor ihrem Kot, den ein Eingeborener einem auf dem Weg zeigt, lachend vor Ekel.
    Nein, keine Hyänen. Sie treiben sich nur nachts herum; schade, dass man nicht über Literatur mit ihnen reden kann wie mit den Freunden, die ich dort oben zurückgelassen hatte, sonst wüsste ich, wie ich manche schlaflose Nacht verbringen könnte.
    Ja, ich hatte einen Fehler gemacht, ich hatte in jeder Hinsicht einen Fehler gemacht. Erstens, dass ich überhaupt eine Abkürzung genommen, und zweitens, dass ich gerade diese genommen hatte. Sie kreuzte nämlich nie die Straße, wie ich naiverweise angenommen hatte. So würde ich keinen Lastwagen anhalten können, etwa diesen, dessen Geräusch jetzt undeutlich zu mir drang. Er war mindestens drei Kilometer weit entfernt und fuhr bergauf.

    Ich folgte dem Geräusch, von einer Unruhe ergriffen, die ich mir nicht zu erklären vermochte; doch da der Pfad nach Norden bog, das heißt gegen das Hochland hin, ging ich auf meinem Weg weiter. Ich hatte einen Fehler begangen, ja, aber man brauchte schließlich keine Tragödie daraus zu machen. In zwei Stunden würde ich ankommen, denn jetzt führte der Pfad nach Norden und wurde steil.
    Ich überquerte einen ausgetrockneten Wildbach. Sogar ein paar Tümpel waren da mit beinahe sauberem Wasser und einer Gruppe von grünen Bäumen. Immer diese gleichen Bäume, die so verhext aussahen, obwohl sie grün waren. Ich nahm also den Pfad wieder auf, der durch einen dichten Buschwald voller Termitenbauten führte. Ein paar schwarze Vögel flogen bei meinem Vorbeigehen auf und ließen sich krächzend weiter vorn nieder. Ich hatte das Gefühl, als würde ich verfolgt und beobachtet, doch vielleicht waren es nur die Müdigkeit und der Zahn, dieser hartnäckige Backenzahn. Ich begann vor mich hin zu pfeifen, und recht bald beschäftigten angenehme Gedanken meinen Sinn: vor allem der Urlaub. Dann der Brief, der mir in der Tasche brannte und den ich auch jetzt gleich wiederlesen konnte, dieser liebe Brief, den ich mit mir genommen hatte. Ich versuchte einige etwas undeutliche, in
Eile geschriebene Worte zu entziffern, denen ich übertriebene Bedeutung beimaß. Vielleicht würden diese wenigen Worte auf alle meine bangen Fragen eine Antwort geben; doch als ich sie entziffert hatte, war ich wie gewöhnlich enttäuscht: Es waren Worte ohne besondere Bedeutung, dazu bestimmt, selbst von einer sonst ruhigen Frau in Eile hingeschrieben zu werden.«Schade», sagte ich.
    Jetzt wurde das Gehölz noch wirrer, und hohe Sträucher verstellten mir die Sicht; dies bewog mich noch einmal, stehenzubleiben und meine Lage zu bedenken. Ich
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