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Abgründe - Wenn aus Menschen Mörder werden - Der legendäre Mordermittler deckt auf

Abgründe - Wenn aus Menschen Mörder werden - Der legendäre Mordermittler deckt auf

Titel: Abgründe - Wenn aus Menschen Mörder werden - Der legendäre Mordermittler deckt auf
Autoren: PeP eBooks
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wies keinen Einstich auf. Das war komisch. Zumindest, wenn man glauben sollte, dass der Kampf wirklich im Bett stattgefunden hatte. Dass bei der Vielzahl der geführten Stiche kein einziger in die Bettdecke getroffen haben soll, mit der das Opfer zugedeckt gewesen sein muss - es war schließlich Winter und nicht besonders warm im Schlafzimmer - war kaum vorstellbar. Mehrere Einstiche wies aber der Schlafanzug auf, allerdings nur hinten. Dadurch war der Rückschluss berechtigt, dass er vorne offen gewesen sein muss. Was wiederum nicht der Gewohnheit des Opfers entsprach, wie wir später erfahren sollten. Hatte Annabella ihn eigens aufgeknöpft? Derartiges kennt man allerdings nur von Selbstmördern, die sogar
dünnste Hemdchen ausziehen, weil sie befürchten, dadurch könnte das Eindringen der Klinge und damit der schnelle, schmerzlose Tod behindert werden. Gleiche Vorsichtsmaßnahmen werden natürlich auch von Tätern getroffen, sofern sie die Möglichkeit und die Zeit haben, diese Art von Vorbereitungshandlung durchführen zu können. Bei Affekt- oder Spontantaten ist das natürlich so gut wie nie der Fall, und oft genug haben uns durchstochene Kleidungsstücke aufgezeigt, wo und wie oft ein Opfer getroffen wurde. Wertvoll war solches Basiswissen beispielsweise dann, wenn das Opfer noch im Operationssaal lag und wir schon mit der Vernehmung der Täter beschäftigt waren. Und zwar deshalb, weil wir natürlich meist nicht mit der (ganzen) Wahrheit bedient werden. Aber gerade die herauszufinden, ist ja unsere Aufgabe. Vor dem Hintergrund, dass Beschuldigte das Recht haben, zu lügen, ist man deshalb für jede Information dankbar.
    In der restlichen Wohnung gab es keine Auffälligkeiten. Außer dass im Wohnzimmer eine Packung mit Baldrian-Dragees stand, die fast leer war. Wer musste sich da beruhigen?
    Es blieben eine Menge offener Fragen und Ungereimtheiten. Jedenfalls bestanden erhebliche Diskrepanzen zwischen dem, was die Frau bisher ausgesagt hatte, und dem, was wir am Tatort ablesen konnten. »Nicht kompatibel«, dachten wir.
    Annabella W. wollte keinen Anwalt. Sie fühle sich nicht schuldig, gab sie zu Protokoll. Obwohl ihr bewusst sei, dass sie einen Menschen getötet habe. Deshalb sei sie auch aussagebereit, stehe Rede und Antwort. Sie habe in Notwehr gehandelt. Seit Wochen schon sei ihr Mann mit
einem großen Küchenmesser zu Bett gegangen. Er habe ihr Angst machen und sie damit zum Auszug zwingen wollen. Damit hätte sie dann den ersten Schritt getan im sogenannten Trennungsjahr, das sie eigentlich in der eigenen Wohnung hinter sich bringen wollten. »Wer zuerst geht, hat verloren«, so wurde die Lage gesehen.
    Aber schläft man weiterhin im selben Bett, als ob nichts gewesen wäre? Sicher, es war nur eine Dreizimmerwohnung. Aber warum hatte nicht einer von ihnen im Wohnzimmer geschlafen? Sie habe nicht nachgeben können, weil sie keinesfalls weichen wollte, erklärte sie. Auch innerhalb der Wohnung nicht. Es sei um so etwas wie die Vormachtstellung gegangen. Sie und ihr Sohn wollten bleiben und er sollte gehen. Aber war es glaubhaft, dass man dafür wochenlang neben einem Mann schläft, der ein riesiges Küchenmesser auf seinem Nachtkästchen liegen hat? Das passte einfach nicht zu dieser selbstbewussten Persönlichkeit. Wie konnte sich eine so emanzipierte, gebildete, intelligente Frau auf diese primitive Art und Weise wochenlang demütigen lassen? Nicht einmal bei unserer »Kundschaft« am anderen Ende der sozialen Leiter hatte ich bisher Gleichartiges erlebt.
    Annabella W. blieb bei ihrer Version. Ihr Mann sei gegen 22.00 Uhr von seiner Geliebten gekommen, sie habe im Wohnzimmer noch ferngesehen. Es habe wieder einmal einen verbalen Streit gegeben. Das Übliche. Irgendwann, so habe er gedroht, bevor er zu Bett ging, würde er sie abstechen. Ihr sei zwar nicht wohl gewesen in ihrer Haut, aber eigentlich habe sie nicht geglaubt, dass er dies auch wirklich umsetzen würde. Sie begann zu schluchzen an dieser Stelle der Vernehmung, wobei aber keine Tränen zu sehen waren. Es war eher ein Weinversuch. Jeder
gute Vernehmungsbeamte registriert so etwas. Versuchtes täuschendes Verhalten nennt man das.
    Sie sei also gegen 24.00 Uhr zu Bett gegangen. Er habe diesmal nicht geschnarcht, das sei ihr aufgefallen. Trotzdem habe sie kein Licht gemacht, habe sich ins Bett gelegt und wollte sich gerade zudecken, als er plötzlich über ihr gewesen sei. »Jetzt bist du dran!«, habe er gezischt. Er habe das Messer in seiner
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