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Abenteuer meines ehemaligen Bankberaters

Abenteuer meines ehemaligen Bankberaters

Titel: Abenteuer meines ehemaligen Bankberaters
Autoren: T Rammstedt
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aber Sie wissen auch nicht mehr, wie
man etwas ablegt. Sie wissen nicht, wie man im Boden versinkt. Sie wissen
nicht, wie man sich in Luft auflöst. Sie wissen nicht, wie Sie das Schweigen
beenden können, das viel zu groß ist, um aus Ihnen hinauszugelangen, es drückt
im Bauch, es füllt den Hals, es verklebt den Mund, diese lächerlich kleine Öffnung, und Sie wissen nicht, wie
Sie die Starre beenden können, wie man irgendetwas bewegt, ein Bein, eine Hand,
all diese Auswüchse, dieses unübersichtliche Gewirr von Sehnen und Muskeln und
Gelenken. Sie versuchen probehalber einen Fuß in Gang zu setzen, aber das Signal
verläuft sich, biegt falsch ab, landet im Finger, der sich krümmt, und er
krümmt sich wahnsinnig laut.
    Sie starren auf den Finger. Sie starren auf den Revolver, den
schlanken Rauch. Die Waffe fällt aus Ihrer Hand, und Sie sind so erleichtert
darüber, die Starre gebrochen zu haben, die Stille gebrochen zu haben, dass Sie
gar nicht mitbekommen, wie der
Kerl mit den großen Kopfhörern aufspringt und sich den Revolver greift. Sie
bekommen nicht mit, wie plötzlich die Tür explodiert, wie plötzlich geschrien
wird. Alles voller Rauch, voller schwarz gepolsteter Männer, voller Helme und
Lichtkegel und Kommandos. Sie bekommen nicht mit, wie der Kerl mit den großen
Kopfhörern niedergerungen wird, wie alle wild durcheinanderschreien. Sie stehen
nur lächelnd mitten im Getümmel und krümmen immer wieder Ihren Finger, weil
zumindest das endlich gelingt.
    Sie müssen da raus, Herr Willis. Sie müssen sofort da raus. Das
schreie ich Ihnen auch in der Bank zu, aber Sie strahlen mich nur an und zeigen
mir stolz, wie Sie Ihren Finger krümmen können. Die Polizisten rufen immer wieder,
dass sich alle auf den Boden legen sollen, und ich rufe immer wieder, dass sich
alle mit erhobenen Händen an die Wand stellen sollen, um in dem Durcheinander noch
etwas Zeit für Sie zu gewinnen, aber Sie sind ganz auf Ihren Finger
konzentriert, während sich um Sie herum alle hinlegen und wieder aufstehen,
während sich immer mehr Polizisten auf den Kerl mit den großen Kopfhörern
werfen.
    Ich möchte Ihnen ja helfen, Herr Willis, aber Sie müssen sich auch
helfen lassen. Sie müssen die Chance nutzen, die nur Sie sehen können. Sie
müssen »Er hat eine Bombe« rufen, doch Sie denken gar nicht daran, das kommt
Ihnen nicht einmal in den Sinn, auch nicht, als ich es Ihnen ins Ohr flüstere,
es Ihnen pantomimisch vormache, Sie haben nur Augen für Ihren bescheuerten
Finger, also rufe ich es selbst: »Er hat eine Bombe!«
    Ich rufe es, so laut ich kann, und tatsächlich schauen alle erst
mich und dann den niedergerungenen Kerl mit den Kopfhörern an. Sogar er selbst
blickt an sich hinab, bevor alle schreien und drängen und schubsen und im sich
nur langsam lichtenden Nebel der Rauchbomben den Ausgang suchen. Ich finde ihn.
Wir finden ihn, Herr Willis, denn
ich zerre Sie mit, ich blinzele mit Ihnen ins Tageslicht, ich hake Sie unter
und renne los. Sie stolpern neben mir her, noch immer den Finger krümmend. Sie
krümmen ihn, während ich Sie antreibe. Sie krümmen ihn, während hinter uns
gerufen wird, dass wir sofort stehen bleiben sollen. Sie krümmen ihn, während
der erste Schuss fällt, während Sie in meinem Arm durchgeschüttelt werden, Sie
schreien nicht, obwohl ich das Blut sehen kann, das sich auf Ihrer Hose
ausbreitet. Sie krümmen nur weiter Ihren Finger, während ich Sie Haken
schlagend weiterschleppe, Schüsse links und rechts und zum Glück nicht
dazwischen, und wir endlich um eine Ecke biegen können. Sie krümmen ihn,
während wir Autos ausweichen, Hundeleinen überspringen, mit einem Fahrradfahrer
zusammenstoßen. Sie krümmen ihn, während ich das Fahrrad aufhebe, mich beim
Fahrer entschuldige und ihn wegstoße, während ich Sie auf den Gepäckträger
setze, Ihre Arme um mich lege und wild schlingernd losfahre. Sie krümmen ihn,
während wir Fahrt aufnehmen, wahllos abbiegen, bis es endlich bergab geht. Zwar
nur für eine kurze Strecke, aber das reicht fürs Erste. Ich muss nicht mehr in
die Pedale treten, der Fahrtwind ist angenehm kühl, Ihr Kopf drückt sich an
meinen Rücken. Wir drehen uns nicht um, weil wir weiter glauben möchten, vorerst
in Sicherheit zu sein.
    Ob das hier schon das glückliche Ende sei, überlege ich. Es wäre ein
schönes Bild, wir beide auf dem Fahrrad, Abendsonne, gleichmäßige
Schlangenlinien, die immer größer werdenden Abstände der Blutstropfen auf dem
Asphalt. Ich biege
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