Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Abendstern - Roman

Abendstern - Roman

Titel: Abendstern - Roman
Autoren: Nora Roberts
Vom Netzwerk:
Ich wünschte, du wärst hier und ich weit weg. Cal
    Irgendwann würde er antworten, dachte Cal, als er die E-Mail abschickte und dann den Computer herunterfuhr. In fünf Minuten oder in fünf Wochen, aber antworten würde Gage auf jeden Fall.

    Er schlüpfte wieder in seine dicken Wintersachen. Er war ein großer, schlanker Mann, wie sein Vater. Seine übergroßen Füße hatte er auch von Dad geerbt.
    Die dunkelblonden Haare hatte er von seiner Mutter. Allerdings wusste er das nur, weil er frühe Fotos von ihr gesehen hatte. In seiner Erinnerung war sie immer schon goldblond gefärbt.
    Seine Augen waren von einem scharfen, gelegentlich stürmischen Grau. Seit seinem zehnten Geburtstag brauchte er keine Brille mehr.
    Als er jetzt den Parka zuzog und sich die Kapuze aufsetzte, dachte er, dass er die Jacke eigentlich nur brauchte, um sich behaglich zu fühlen. Seit über zwanzig Jahren hatte er nicht einmal mehr einen Schnupfen gehabt. Keine Grippe, keinen Virus, keinen Heuschnupfen.
    Mit zwölf war er vom Apfelbaum gefallen und hatte sich den Arm gebrochen. Der Schmerz hatte ihm den Atem geraubt.
    Aber als er über den Rasen zum Haus gelaufen war, hatte er gespürt, wie der Knochen - ebenfalls unter Schmerzen - wieder zusammenwuchs.
    Seiner Mutter hatte er erst gar nichts davon erzählt, erinnerte er sich jetzt, als er in den peitschenden Wind hinaustrat. Warum sollte er sie aufregen?
    Rasch legte er die drei Blocks zu Fox’ Büro zurück. Er grüßte alle, die ihm über den Weg liefen, blieb allerdings nicht stehen, um sich zu unterhalten. Es mochte ja sein, dass er sich keine Lungenentzündung holte, aber er hatte den Winter einfach restlos satt.
    Grauer, eisverkrusteter Schnee lag in einem schmutzigen Band am Straßenrand, und die Farbe des Himmels
passte dazu. Zwar hatten einige der Häuser Valentins-Herzen und Kränze an Türen und Fenstern, aber dadurch wirkten die kahlen Gärten und die nackten Bäume auch nicht fröhlicher.
    Im Februar zeigte sich Hollow nicht von seiner besten Seite, fand Cal.
    Rasch lief er die Stufen zur Veranda des alten Stadthauses hinauf. Auf dem Schild neben der Tür stand: FOX B. O’DELL, ANWALT.
    Wenn Cal es sah, zuckte er immer noch überrascht und amüsiert zusammen. Selbst nach fast sechs Jahren fiel es ihm schwer, sich an den Gedanken zu gewöhnen.
    Der langhaarige Hippie war wahrhaftig Jurist geworden!
    Hinter der Theke am Empfang stand Alice Hawbaker. Schlank, adrett in ihrem dunkelblauen Kostüm mit der weißen Schleifenbluse, ihrem weißen Pagenkopf und der nüchternen Bifokalbrille. Mrs Hawbaker leitete die Kanzlei wie ein Border Collie seine Herde.
    Sie sah so lieb und hübsch aus, aber wenn man sich nicht anpasste, biss sie einem in den Knöchel.
    »Hey, Mrs Hawbaker. Mann, da draußen ist es vielleicht kalt. Es sieht so aus, als bekämen wir noch mehr Schnee.« Er wickelte sich den Schal ab. »Ich hoffe, Sie und Mr Hawbaker haben es kuschelig warm.«
    »Uns genügt es.«
    Etwas in ihrer Stimme ließ ihn aufblicken, als er sich die Handschuhe von den Händen streifte. Als er sah, dass sie geweint hatte, trat er instinktiv näher. »Ist alles okay? Ist …«

    »Es ist alles in Ordnung. Fox hat gerade Zeit. Er ist in seinem Büro und schmollt, Sie können also gleich durchgehen.«
    »Ja, Ma’am. Mrs Hawbaker, wenn ich irgendetwas …«
    »Gehen Sie einfach durch«, sagte sie noch einmal und beugte sich über die Telefonanlage.
    Hinter dem Empfangsbereich befanden sich eine Toilette und eine Bibliothek. Dahinter lag Fox’ Büro hinter gepolsterten Türen. Cal machte sich nicht die Mühe anzuklopfen.
    Fox blickte auf, als die Tür aufging. Er wirkte mürrisch.
    Er saß hinter seinem Schreibtisch und hatte die Füße, in Wanderstiefeln, auf die Platte gelegt. Er trug Jeans und ein Flanellhemd über einem weißen T-Shirt. Seine braunen Haare fielen wellig um sein scharf geschnittenes Gesicht.
    »Was ist los?«
    »Das kann ich dir sagen. Meine Assistentin hat mir gerade gekündigt.«
    »Was hast du denn gemacht?«
    »Ich?« Fox schob sich vom Schreibtisch ab und bückte sich, um eine Dose Coke aus seinem kleinen Kühlschrank zu nehmen. Kaffee hatte ihm noch nie geschmeckt. »Versuch es mal mit wir, Bruder. Wir haben in einer schicksalhaften Nacht am Heidenstein gezeltet und die Sau rausgelassen.«
    Cal ließ sich auf einen Sessel sinken. »Sie hat gekündigt, weil …«
    »Sie hat nicht nur gekündigt. Sie verlassen Hollow,
sie und Mr Hawbaker. Ja, genau aus diesem Grund.«
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher