1408 - Ein Tropfen Ewigkeit
Kriminalist zu sein. Er hatte es sich stets zur Aufgabe gemacht, zuerst immer nach den Motiven der Täter zu forschen, bevor er sie exekutierte oder festnahm.
Aber es war auch sein oberstes Prinzip, nie irgendwelche Vermutungen anzustellen, die nicht auf Beweisen oder zumindest Indizien aufbauten. Das bewahrte ihn davor, irrige Schlüsse zu ziehen und falsche Fährten zu verfolgen.
Er sparte damit viel Zeit und schonte seine Nerven.
Auf dem Bildschirm wurde wieder das Auftragsfenster eingeblendet.
Die Nachricht unter der Statuszeile Auftrag für Monka hatte sich verändert.
Nun stand nicht mehr „Dirng suchen ..." dort, sondern: Dirng ist seines Amtes enthoben.
DIRNG HAT AB SOFORT KEINEN REGULATOR-STATUS MEHR!
Dirngs Leben ist abgelaufen.
Monka hat Dirng zu exekutieren und seine sterblichen Überreste in die Todeskammer zu überstellen.
Auftrag bestätigen. Erfolgsmeldung erwünscht. „Dirng töten - nichts lieber als das", sagte Monka zum Computer; diese Äußerung durfte ruhig ins Protokoll aufgenommen werden. Gleichzeitig fragte er sich auch, wer Dirngs Nachfolge antreten würde. Ihm war die Kandidatenliste nicht bekannt. Er fügte mit Nachdruck hinzu: „Jetzt mache ich dich kalt, Eisiger."
Die Büdfläche des Monitors begann im Telefon-Status gelb zu blinken.
Die Meldung Bürgerleitung. Gespräch für Eiser. Vater übernehmen erschien.
Diese Leitung wurde zumeist von Denunzianten benutzt, die Verfehlungen ihrer Mitbürger oder ihrer Lebensgefährten meldeten, oder auch von Leuten, die um eine Tötungslizenz ansuchten.
Monka nahm das Gespräch entgegen und setzte den Helm auf, um seine Stimme durch den Verzerrer laufen zu lassen.
Sofort meldete sich eine heisere Frauenstimme: „Hier ist Schwester. Ich warte auf Vertragserfüllung, Eiser."
Monka überlegte nicht viel. Er konnte auf eine lange Erfahrung zurückblicken und besaß auch für Fälle wie diesen einige Standardformulierungen. „Den Bonus gibt's erst nach erfolgtem Abschluß", sagte er. „Du hast den Coup erfolgreich gelandet.
Ich hab's an der Tagesstatistik erkannt.
Zwei Geburten. Fünf Todesfälle, ein Todesfall ausgesetzt. Glaubst du, ich weiß nicht, was das heißt? Du hast es getan.
Also gib es mir."
„Soll ich's etwa per Boten zustellen lassen?"
„Du weißt, wo ich zu finden bin, Eiser.
Warum läßt du mich tagelang warten? Was führst du im Schilde? Wenn du eine krumme Tour vorhast, dann nimm dich in acht."
„Ich will die Sache ja hinter mich bringen", sagte Monka. „Aber es ist eine Komplikation eingetreten. Wir müssen einen anderen Übergabeort vereinbaren."
„Das gefällt mir nicht", sagte die Frau mit der heiseren Stimme. „Mir auch nicht. Entweder du triffst eine neue Vereinbarung mit mir, oder..."
„Nein!" fiel ihm die Frau ins Wort. „Wenn du das tust, bist auch du ein toter Mann."
„Ich bin der Tod", sagte Monka mit Nachdruck. „Also wo?"
Eine Weile herrschte Schweigen. Dann: „Ich erwarte dich zu Beginn des letzten Tagesviertel an der Sühnerampe. Du erkennst mich an der Duftnote Seyna. Und wehe, du bist nicht pünktlich - oder du bringst es mir kalt."
„Ich halte mich an die Abmachung", versprach Monka.
Die Verbindung wurde unterbrochen.
Monka ließ sich das Gesprächsprotokoll ausschreiben und stellte verblüfft fest, daß der Anruf aus dem innersten Bezirk, der „Heimat" gekommen war. Demnach war die Anruferin eine der 111 Oberen, zu deren Privilegien es auch gehörte, anonym bleiben zu dürfen. Natürlich warf das Protokoll weder ihren Namen noch ihren Anschlußkode aus.
Auf was hatte Dirng sich da eingelassen?
Es schien, als sei ihm diese Angelegenheit über den Kopf gewachsen. Vielleicht hing sogar der Exekutionsbefehl damit zusammen? In diesem Fall hatte aber gewiß nicht die Anruferin dafür gesorgt, denn sonst hätte sie nicht versucht, sich mit „Eiser" in Verbindung zu setzen.
Monka verfolgte den Hinweis, den ihm die Frau ungewollt gegeben hatte. Er forderte das Tagesprotokoll mit der Meldung „Fünf Todesfälle, ein Todesfall ausgesetzt" an. Es stammte von jenem Tag, an dem Dirng zum letztenmal aktiv gewesen war. Zu der Meldung „ein Todesfall ausgesetzt" gab es eine interne Fußnote. Sie lautete: NICHT LEGITIMES KIND NACH EINLIEFERUNG IN DIE TODESKAMMER GERAUBT.
TÄTER UNBEKANNT. Monka ließ sich Dirngs Einsatzprotokoll für diesen Tag geben. Und dies war sein Tagesablauf: Gleich nach Dienstantritt hatte Dirng einen anonymen Anruf mit dem Hinweis auf ein ausgesetztes Kind
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