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1342 - Die Totmacher

1342 - Die Totmacher

Titel: 1342 - Die Totmacher
Autoren: Jason Dark
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lassen.
    »Geh an die schmale Seite des Tisches!«, befahl der Totmacher.
    »Da bleibst du dann stehen!«
    Ich folgte der Aufforderung und stoppte dort, wo der Mann es gewollt hatte. Sehr langsam drehte ich mich um. Niemand hatte etwas dagegen. Einige Sekunden später befanden sie sich in meinem Blickfeld. Ich hatte das Gefühl, Person auf einem Standfoto zu sein, denn im Moment bewegte sich niemand.
    Direkt vor mir und an der anderen Schmalseite des Tisches hielten sich der Totmacher und seine Geisel auf. Sie hatten den Flur verlassen, doch die Haltung hatte sich bei ihnen nicht verändert.
    Noch immer befand sich die Spitze des Beils nahe der Mädchenkehle. Sie brauchte nur um eine Idee nach vorn gedrückt zu werden und es war um Wendy geschehen.
    Das Kind schaute mich an. In seinem Kostüm kam es mir vor, als wollte es eine Minute später auf die Bühne steigen, um in einem gruseligen Märchenspiel mitzumachen. Für ihren Blick gab es nur ein einziges Ziel, und das war ich.
    Sie schaute mich ununterbrochen an. Ich glaubte, in ihren Augen eine Botschaft zu lesen. Sie brachte mir ein gewisses Unverständnis entgegen, zugleich eine Frage, aber Wendy war so schlau, kein Wort zu sagen. Das gefiel mir.
    Lou Gannon sprach sie an. Durch die Erhöhung auf dem Kopf sah er lächerlich aus. Diesem Trugschluss wollte ich mich nicht hingeben. Er war alles andere als lächerlich. Für mich war er nichts anderes als eine gefährliche Bestie.
    »Das ist dein Vater, Wendy. Er hat dafür gesorgt, dass mein Bruder sterben musste. Er hat ihn nicht freibekommen. Kid Gannon blieb nichts anderes übrig, als sich umzubringen. Klar, dass ich deinem Alten nicht verzeihen kann. Verstehst du doch – oder?«
    »Weiß nicht…«
    »Ich habe um meinen Bruder geweint, und ich will, dass du auch weinst. Ebenso wie deine Mutter, denn ihr werde ich den Mann nehmen und dir den Vater. Dann könnt ihr erleben, wie es ist, wenn man ohne einen Menschen dasteht, mit dem man gut ausgekommen ist. Genau das werdet ihr erleben und darauf freue ich mich.«
    »Hören Sie auf«, sagte ich. »Quälen Sie das Kind nicht so. Lassen Sie es frei. Sie haben mich ja! Es soll nach Hause gehen. Mich können Sie umbringen!«
    »Das werde ich auch!«
    »Aber Wendy soll nicht zuschauen!«
    »Abwarten!«
    »Bitte!«, flüsterte ich…
    Er schnitt mir das Wort ab. »Hast du eine Waffe?«
    »Nein!« Damit hatte ich nicht gelogen. Bevor ich das Haus betrat, hatte ich Suko meine Beretta gegeben. Ich hatte einfach auf Wendy Rücksicht nehmen wollen.
    Gannon überlegte. Er schaute mich an. Die Augen in seinem scharf geschnittenen Gesicht verengten sich.
    »Ich habe wirklich keine.« Da meine Jacke nicht geschlossen war, öffnete ich sie, damit er so viel wie möglich von meinem Körper sehen konnte.
    Er schien zufrieden zu sein. Zumindest deutete sein sparsames Lächeln darauf hin.
    »Mein Bruder hat sich erhängt«, flüsterte er dann. »Er hat lange gelitten. Ich will nicht Gleiches mit Gleichem vergelten und werde bei dir deshalb kurzen Prozess machen. Du wirst nicht viel spüren, wenn meine Axt dich mitten im Gesicht trifft. Vielleicht hörst du es noch leicht knacken, wenn die Knochen brechen, aber das ist alles.«
    Trotz dieser Drohung, die mir unter die Haut ging, dachte ich an das Mädchen.
    »Schaff Wendy hier raus! Lass sie gehen. Es soll dir doch reichen, wenn du mich hast!«
    Er überlegte. Er schaute mich genau an. Er sah das Zucken in meinem Gesicht und auch den Schweiß, der die Haut bedeckte.
    Ich hätte mich unter diesem Blick gern verkrochen, denn er konnte mir einfach nicht gefallen. Es kam mir vor, als steckte ein gewisses Misstrauen in ihm.
    Hatte er etwas bemerkt? War ihm etwas aufgefallen? Hatte ich mich falsch benommen? Ich war mir keiner Schuld bewusst, aber dieser mit Misstrauen gefüllte Blick gefiel mir gar nicht.
    »Angst?«
    »Ja.«
    »Das ist gut. Auch mein Bruder hat Angst gehabt, und die sollst du auch spüren.« Er deutete ein leichtes Kopfschütteln an. »Aber ich weiß nicht, Blaine, etwas gefällt mir nicht an dir. Ich kann nicht ausdrücken, was es ist, da muss ich mich einfach von meinem Gefühl leiten lassen.« Er hob die Schultern. »Komisch…«
    »Was ist komisch?«
    »Dass ich dir die Vaterrolle nicht so ganz abnehme.«
    Ich zuckte mit den Schultern und versuchte, möglichst gelassen zu antworten. »Das kann ich sogar verstehen. Sie sind bestimmt kein Vater, Gannon. Sie glauben nicht, wie schwer es mir fällt, hier zu stehen und Ihnen
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