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1255 - Böser schöner Engel

1255 - Böser schöner Engel

Titel: 1255 - Böser schöner Engel
Autoren: Jason Dark
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wollte, Jamina ließ sich nicht beirren. Sie vertraute auf den lieben Gott und auf die angerufenen Heiligen, und sie hatte inzwischen sogar den Kopf so gedreht, dass sie den verfluchten Engel anschauen konnte.
    Tamara pumpte sich auf. Sie wollte die Stellung einer Angreiferin annehmen, aber sie schaffte es nicht, sich von der Stelle zu bewegen. Jedes gehörte Wort war wie ein Tropfen Säure, der sie erwischte und sich immer tiefer fraß. Sie riss den Mund auf, der Körper zuckte vor, aber mehr passierte mit ihm nicht, denn sie kam nicht vom Fleck, weil dort eine unsichtbare Mauer stand.
    Sie ging zurück. Sie musste zurück. Ihr gesamter Körper zitterte. Das geschah auch nicht mehr normal. Nach jedem Schritt schwankte sie, bevor sie sich wieder fangen konnte. Tamara bewegte sich rückwärts, aber die Arme hatte sie nach vorn gestreckt und beide Hände gespreizt, als wollte sie damit etwas abwehren. Den Mund hatte sie weit geöffnet. Röchelnde Laute drangen daraus hervor, die manchmal nichts Menschliches mehr an sich hatten. So wie sie konnten auch Tiere schreien, die man in die Enge getrieben hatte.
    Es war ein Kampf der Gewalten. Und Tamara verlor.
    Das betende Kind war stärker. Es ließ sie nicht aus dem Blick. Es schleuderte ihr die Worte entgegen, die sie trafen wie gewaltige Hammerschläge. Entwischen konnte sie ihnen nicht, und plötzlich sprang sie in die Höhe.
    Es sah aus, als wollte sie sich bewusst mit dem Kopf gegen die Decke wuchten, aber auf dem Weg dorthin geschah etwas Unvorstellbares. Sie nahm plötzlich eine feinstoffliche Gestalt an. Genau wie bei dem Kind, das sie geheilt hatte.
    Innerhalb kürzester Zeit wurde sie zu einem Wesen, das nur aus Konturen bestand. Und genau diese Konturen drangen in die Decke ein - und auch hindurch. Die Heilerin hatte sich aufgelöst und war verschwunden. Bis auf die drei war das kleine Zimmer leer.
    Jamina sprach noch immer. Diesmal leiser. Sie bewegte ihre Lippen und schaute die Mutter an.
    Svetlana konnte es nicht fassen. In der Nähe hockte die alte Ärztin und weinte, aber die Witwe hatte nur Augen für ihre Tochter. Jamina saß noch immer an der gleichen Stelle. Sie hielt die Arme etwas in die Höhe gestreckt, die Handflächen berührten sich gegenseitig, und auch weiterhin drangen die Gebete über ihre Lippen.
    Svetlana merkte erst jetzt, dass auch sie weinte. Allmählich wurde ihr bewusst, wie hauchdünn sie dem Tod entgangen war. Das zu begreifen, fiel ihr schwer. Sie kam sich noch immer vor wie eine Gefangene, nur fing der Käfig jetzt an, sich aufzulösen.
    Wieder atmete sie tief durch.
    Ja, es klappte. Es war nicht mehr so wie noch vor einer oder wie vor zwei Minuten. Man hatte ihr das Leben zurückgegeben, durch die Gebete ihrer Tochter.
    »Jamina«, flüsterte die Frau erstickt. »Mein Gott, Kind…« Jetzt konnte sie nicht mehr an sich halten.
    Sie lief auf das Bett zu und warf sich über ihre Tochter. Sie drückte Jamina zurück und bedeckte ihr Gesicht mit Küssen. Was sie dabei sagte, wusste sie selbst nicht, es sprudelte nur so aus ihr hervor.
    Langsam erhob sich auch die alte Ärztin von ihrem Stuhl. Sie sah aus wie eine Schlafwandlerin, als sie die ersten Schritte probierte und dabei einsackte. Sie hielt sich tapfer, ging um den Stuhl herum und ließ dabei ihre flache Hand immer wieder über die Lehne gleiten. Der Gesichtsausdruck war einfach nur mit dem Begriff hölzern zu beschreiben. Sie wirkte wie eine erwachsene Puppe, und sie murmelte Worte vor sich hin, die sie selbst nicht verstand.
    Irgendwann blieb sie stehen, aber sie schaute nicht dorthin, wo sich Mutter und Tochter befanden, sondern gegen den Teil der Decke, durch den Tamara verschwunden war.
    »Weg«, flüsterte sie. »Tamara ist weg. Wie ein Engel geflogen. Hat sich aufgelöst…«
    Dann musste sie lachen. Es hörte sich schrill an. Wie das Lachen einer Person, die den Überblick verloren hatte und nicht wusste, was sie unternehmen sollte.
    Darum kümmerten sich Mutter und Tochter nicht. Beide saßen auf dem Bett. Svetlana hielt ihre Tochter so fest umschlungen, als wollte sie diese nie mehr loslassen. Sie konnte noch immer nicht vernünftig sprechen und sorgte nur dafür, dass der Kontakt zwischen ihnen bestehen blieb und sich ihre Wangen nicht voneinander trennten.
    »Du hast mich gerettet, Jamina, du hast mich vor dem Bösen gerettet.«
    »Nein, das war nicht ich.«
    »Doch, denn du hast gebetet.«
    »Ja, aber ich habe dich nicht gerettet. Es ist der liebe Gott gewesen. Es
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