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1227 - Verschollen im Mittelalter

1227 - Verschollen im Mittelalter

Titel: 1227 - Verschollen im Mittelalter
Autoren: Pete Smith
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überhaupt bemerkt hatte. Einer Eingebung folgend lenkte er sein Pferd in die dunkle Gasse, die eine steile Anhöhe hinaufführte. Schwester Clothilde ritt hinter ihm her. Oben angelangt blieben sie wie vom Donner gerührt stehen. Zu ihren Füßen erstreckte sich ein hell erleuchteter Platz, auf dem es vor Menschen nur so wimmelte. Die ganze Stadt schien dort versammelt zu sein. Schreie drangen an ihr Ohr. Das Gekreische einer aufgestachelten Menge. Wie hypnotisiert wogten die Menschen über den Platz. Ein Pulverfass, das jederzeit zu explodieren drohte.
    Plötzlich erstarben die Schreie. Übergangslos fiel eine unheimliche Stille herab. Nach einigen Sekunden erhob sich eine Stimme, deren Worte Nelson nicht verstehen konnte, die er jedoch kannte und die seine letzten Ängste oder Zweifel fortwischte.
    »Los!«, rief er. »Ihr wisst Bescheid!«
    Er trieb sein Pferd an und sprengte mit Luk im Rücken in gestrecktem Galopp die Anhöhe hinunter. Schwester Clothilde und Severin schlossen rasch auf und gemeinsam hielten sie direkt auf die Menge zu.

24
     
     
     
    Menschen neigen dazu, die schrecklichsten Ereignisse in ihrem Leben einfach zu verdrängen. Manche schieben sie in die hintersten Windungen ihres Gehirns, wo sie es irgendwann vergessen. Anderes schwächen sie ab, schleifen die Kanten, damit sie sich daran nicht verletzen und das Unerträgliche im Rückblick ertragen können. Doch wenn Nelson später an die Erlebnisse jener Nacht zurückdachte, so gab es kein noch so grausames Detail, das er verdrängt oder geschönt, dem sich sein Bewusstsein verweigert hätte. Alles spielte sich in seinem Kopf genauso ab, wie es sich in dieser Nacht zugetragen hatte – immer und immer wieder – und es dauerte lange, bis er mit jemandem darüber reden konnte.
    Der Film vor seinem inneren Auge setzte stets mit dem ohrenbetäubenden Getrampel der Hufe sowie jenen entsetzten und wütenden Schreien ein, unter denen die Menschen vor den heranrasenden Pferden zur Seite sprangen. Wie das Meer, das einst vor Moses und den Ägyptern zurückwich, teilte sich die Menge und öffnete einen Korridor, durch den die Freunde bis zur Mitte des Platzes galoppierten. Dort zügelten sie ihre Pferde und kamen in einer Wolke aus Staub zum Stehen.
    Bis dahin hatte Nelson nichts wahrgenommen als das unübersehbare Meer von Menschen, kontur- und gesichtslos, als ungelenke Masse keine wirkliche Bedrohung. Doch jetzt, da sich der Staub senkte und er in die Augen der Menschen sah, die ihn und seine Freunde hasserfüllt anstarrten, legte sich die Angst wie ein eiskaltes Tuch um sein Herz. Ein leises Murmeln setzte ein, das rasch anschwoll zu einem Chor keifender, zischender, hysterisch brüllender Kreaturen, die bedrohlich näher rückten und vor denen die Pferde zurückwichen, als spürten sie die Gefahr genauso wie ihre Reiter. Eine Frau sprang vor, das Gesicht zu einer hässlichen Grimasse verzerrt. »Es ist der Ketzer!«, schrie sie und zeigte mit spitzem Finger auf Severin. »Der Ketzer! Der Ketzer!«, stimmten andere ein. »Ins Feuer mit ihnen! Sie sollen brennen! Gott will es!«
    Die Pferde begannen zu tänzeln. Drohten auszubrechen. Der Rappe von Schwester Clothilde schlug nach hinten aus und verschaffte sich so ein bisschen Raum. Doch schon füllten andere Menschen die Lücke, drängten näher heran. Einer hielt eine Forke in der Hand, ein anderer schwang eine Keule. Plötzlich zischte etwas haarscharf an Luk und Nelson vorbei. Weitere Gegenstände flogen in ihre Richtung. Nelson umklammerte sein Pfefferspray, wohl wissend, dass die lächerlich kleine Waffe gegen die aufgestachelte Horde nichts würde ausrichten können.
    Plötzlich erstarben die Schreie. Aus den Augenwinkeln hatte Nelson eine Bewegung wahrgenommen. Als er sich umwandte, blickte er in das teigige Gesicht des Inquisitors. Milde lächelnd blickte er sie an. Alpais lauerte hinter ihm, ein verächtliches Grinsen im Gesicht. Und halb von ihm verdeckt stand – spitzgesichtig wie ein hinterhältiges Wiesel – ein weiterer Bekannter: Bruder Hitzblitz, Notker, der Eiferer.
    »Wir haben euch bereits erwartet«, quäkte der Inquisitor. »Ihr habt recht lange gebraucht. Wurdet ihr aufgehalten?«
    Notker blickte Alpais über die Schulter. Er grinste verschlagen, schwieg jedoch.
    »Aber fehlt da nicht noch jemand?«, fuhr der dicke Mönch fort und blickte sich in gespielter Verwunderung nach allen Seiten um. »Wo habt ihr denn eure schöne Begleiterin versteckt? Melisande…« Er schloss
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