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0952 - Nacht über New Amsterdam

0952 - Nacht über New Amsterdam

Titel: 0952 - Nacht über New Amsterdam
Autoren: Simon Borner
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das Gelände gezeichnet. Im Schein seiner Lampe sah Andy kleinere Erdspalten und Aufwürfe, wo eigentlich ebenerdige Grasfläche hätte sein sollen. Grabsteine waren umgekippt, manche sogar zerbrochen.
    Wenn die Presse das merkt, macht sie auch daraus eine große Sache , dachte er und musste trotz der unheimlichen Atmosphäre dieses Ortes schmunzeln. Ich sehe die Schlagzeile schon vor mir: So geht New York mit seinen Helden um? Die Natur schändet Ruhestätten unserer Ahnen, und kein Mensch tut etwas dagegen.
    Wenngleich es langsam auf vier Uhr zuging und der Sonnenaufgang nur noch knapp neunzig Minuten entfernt liegen musste, kam sich Andy, wenn er ehrlich gegenüber sich selbst war, ziemlich einsam vor. Allein auf einem Friedhof, mitten in der Nacht! Das war der Stoff, aus dem die Geistergeschichten waren - Zombiebonus hin oder her. Vielleicht wäre es doch besser gewesen, Zamorra zu wecken und ihn zu bitten, sich dieser Spontanexkursion anzuschließen. Für einen kurzen Moment erwog Andy, das Handy zu zücken und seine eigene Wohnung anzurufen, doch dann entschied er sich dagegen. Es war eine Sache, den Meister des Übersinnlichen zurückzulassen. Es war eine ganz andere, ihn nach getroffener Entscheidung zu Hilfe zu rufen, weil man mitten im Geschehen doch noch Schiss bekam.
    Nein. Andy hatte diese Sache allein begonnen, er würde sie auch allein beenden. Überhaupt: War er das denn?
    Allein? Er hatte doch seine Glock an der Hüfte und sein Funkgerät an der Schulter. Wenn er die Ohren spitzte, hörte er den nächtlichen Verkehr auf der Seaman Avenue und der Henry-Hudson-Brücke. Niemand war allein in Manhattan! Der nächste Mensch war immer nur einige Schritte entfernt. Bei acht Millionen auf so engem Raum blieb das nicht aus, auch wenn man inmitten des dunklen Inwood Hill Parks daran zweifeln mochte, noch länger in einer Weltmetropole zu sein.
    Andy umklammerte den Stiel seiner Maglite fester und zog beherzt weiter, ließ die andere Hand aber in der Nähe seines Gürtelhalfters baumeln. Wenn die Zombies wirklich von hier kamen, musste er unter Umständen schnell reagieren. Da schadete es nie, vorbereitet zu sein.
    Nutzen Kugeln überhaupt gegen die Viecher, so ganz ohne Zamorra-Bonus? , fragte er sich - und staunte im nächsten Augenblick, wie selbstverständlich ihm dieser Gedanke im mittlerweile von den imaginären Lippen ging. Noch vor wenigen Monaten - ach was, Stunden! - waren Untote für ihn ein Thema für billigste Trivialunterhaltung gewesen. Für Schund, wie ihn - ausgerechnet - Zandt, der verkappte Giallo-Fan, zu schätzen gewusst hätte. Und nun?
    Seit Andy Jenny Moffat, diesem eigenartigen Llandrysgryf und dem Professor begegnet war, hatte sich mehr als nur sein Leben verändert. Andy selbst war nicht mehr derselbe.
    Und das, so wusste er ohne jeden Zweifel, war gut so. Die Wirklichkeit mochte erschreckend sein - etwa so, wie ein von Erdbebenspuren gezeichneter, menschenleerer Friedhof nach Mitternacht -, aber sie war und blieb die Wirklichkeit. Das Einzige, dem zu stellen sich wirklich lohnte. Alles andere war Realitätsflucht.
    Den Gedanken an Zamorra und den Feiglingsrückzug in die hintersten Winkel seines Gedächtnisses verbannend, schritt Andy Sipowicz weiter durch die Dunkelheit, über kleine Hügel und vorbei an schiefen Gräbern und wahren Stauden von Immergrün.
    Den Stein, der ihn zu Fall brachte, sah er erst, als sein Fuß bereits an ihm hängen geblieben war und Andy kopfüber vorausstürzte - in ein schwarzes, gähnendes und unschätzbar tiefes Erdloch!
    ***
    Als er wieder zu sich kam, hatte er Dreck im Mund und eiskaltes Grundwasser auf den Wangen. Vor seinen Augen drehte sich die Welt, und als sie anhielt, hatte sie sich in ein von Dämmerlicht aus unsichtbarer Quelle durchzogenes Loch verwandelt. Wurzeln ragten aus den aus dunkler Erde bestehenden Wänden hervor wie Tentakel eines Seeungeheuers, das nach dem über Bord geratenen Matrosen zu greifen versuchte. Pfützen voller Regen und Matsch prägten den steinigen Boden, der seine Liegestatt geworden war.
    Stöhnend richtete der junge Sergeant sich auf, klopfte sich den gröbsten Schmutz von der nahezu völlig durchnässten Uniform und betastete seinen Körper. War etwas gebrochen?
    Alle Gliedmaßen ließen sich bewegen, wenngleich der linke Fuß höllisch schmerzte, und seine Brust rebellierte so intensiv, dass der gute Dr. Greene vermutlich persönlich beleidigt gewesen wäre, wenn er wüsste, was der Patient, den er erst vor
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