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08 - Im Angesicht des Feindes

08 - Im Angesicht des Feindes

Titel: 08 - Im Angesicht des Feindes
Autoren: Elizabeth George
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Gästehaus in der Regierung? Was war das? So was wie ein Ferienhaus?
    »Fahren wir jetzt zu dem Gästehaus?« Lottie hatte den Apfelsaft schnell hinuntergespült. Er schmeckte ein bißchen merkwürdig - gar nicht richtig süß -, aber sie trank ihn, weil sie wußte, daß es unhöflich gewesen wäre, einem Erwachsenen gegenüber undankbar zu erscheinen.
    »Ja, da fahren wir jetzt hin«, hatte er gesagt. »Deine Mama wartet dort.«
    Das war alles, woran sie sich mit Klarheit erinnern konnte. Danach war alles verschwommen. Die Augen waren ihr schwer geworden, während sie durch London fuhren, und innerhalb von Minuten, wie ihr schien, war sie nicht mehr fähig gewesen, ihren Kopf hochzuhalten. Undeutlich meinte sie sich erinnern zu können, daß jemand in freundlichem Ton gesagt hatte: »So ist es recht, Lottie. Mach ein kleines Nickerchen« und eine Hand ihr behutsam die Brille abgenommen hatte.
    Als ihr das einfiel, schob Lottie in der Dunkelheit ihre Hände zu ihrem Gesicht hinauf, die Arme dabei so dicht wie möglich an ihren Körper gedrückt, damit sie nicht die Wände des Sarges streiften, in dem sie lag. Ihre Finger berührten ihr Kinn und kletterten langsam ihre Wangen hinauf. Sie tasteten sich zu ihrem Nasenrücken. Ihre Brille war weg.
    Das machte in der Dunkelheit natürlich nichts. Aber wenn das Licht anging ... Doch wie sollte in einem Sarg Licht angehen?
    Lottie holte einmal vorsichtig Luft. Dann noch einmal. Und noch einmal. Wieviel Luft? dachte sie. Wie lange, ehe ... Und warum? Warum?
    Die Kehle wurde ihr eng, und in ihrer Brust stieg es heiß auf. Ihre Augen brannten. Ich darf nicht weinen, dachte sie, nur nicht weinen. Keiner darf sehen ... Aber hier konnte man ja nichts sehen. Hier war nichts als undurchdringliches Schwarz auf Schwarz. Das ihr die Kehle zudrückte, es in der Brust heiß aufsteigen ließ und die Augen brennen machte. Nicht weinen, dachte Lottie. Bloß nicht weinen.

    Rodney Aronson lehnte sich mit seinem Pferdehintern an das Fensterbrett im Büro des Chefredakteurs. Er spürte, wie sich die Lamellen der alten Sonnenjalousie in seinen Rücken drückten, während er aus einer Tasche seiner Safarijacke den Rest Nußschokolade herauskramte, den er sich aufgehoben hatte, und ihn mit der Hingabe eines Paläontologen, der gewissenhaft jedes Bröckchen Erde von den ausgegrabenen Überresten eines prähistorischen Menschen entfernt, aus der Silberfolie schälte.
    Drüben, am Konferenztisch, saß locker und entspannt Dennis Luxford im Hochsitz, wie Rodney den Chefsessel zu nennen pflegte. Mit einem breiten Lächeln, das sein Koboldgesicht zu einem Dreieck verzog, hörte sich der Chefredakteur den letzten Bericht des Tages über die Strichjungen-Sause an, wie die Fleet Street den Vorgang in der letzten Woche getauft hatte. Der Bericht wurde vom besten Reporter ihrer Zeitung The Source mit beträchtlichem Feuer vorgetragen. Mitchell Corsico war dreiundzwanzig Jahre alt, ein junger Mann mit einer närrischen Vorliebe für Cowboykleidung, der über den Instinkt eines Bluthunds und die Sensibilität eines Barrakudas verfügte. Er war genau der Mann, den sie in dem gegenwärtigen, von parlamentarischen Seitensprüngen, öffentlicher Entrüstung und Sexskandalen angereicherten Klima brauchten.
    »In seiner Erklärung von heute nachmittag«, sagte Corsico gerade, »hat unser hochgeschätzter Herr Abgeordneter von East Norfolk behauptet, seine Wählerschaft stehe wie ein Mann hinter ihm. Er sei unschuldig, solange seine Schuld nicht erwiesen sei, et cetera und tralala. Der loyale Parteivorsitzende versichert, der ganze Aufruhr sei allein die Schuld der Sensationspresse, die wieder einmal versuche, der Regierung das Wasser abzugraben.« Corsico blätterte auf der Suche nach dem dazugehörigen Zitat in seinen Notizen. Nachdem er es gefunden hatte, schob er seinen geliebten Stetson auf den Hinterkopf, warf sich in Pose und zitierte: »›Es ist kein Geheimnis, daß die Medien entschlossen sind, die Regierung zu stürzen. Die Strichjungen-Affäre ist lediglich ein weiterer Versuch, die Richtung der parlamentarischen Auseinandersetzung zu bestimmen. Aber wenn die Medien im Sinn haben sollten, die Regierung zu vernichten, werden sie auf würdige Gegner treffen, die, sei es nun in der Downing Street, in Whitehall oder in Westminster, nur darauf warten, den Kampf aufzunehmen.‹« Corsico klappte seinen Block zu und schob ihn in die Hüfttasche seiner abgetragenen Jeans. »Nobel geht die Welt zugrunde«, sagte
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